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Die Seelenpest

Die Seelenpest

Titel: Die Seelenpest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Seidel
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Sohn mit einem Streich aus dem Gedächtnis wischen konnte, oder gar aus dieser Welt, was noch viel besser wäre!… Thomas erhob sich und dankte.
    Die Diener öffneten die Tür. Zwei Helfer schleppten neue Kohlenglut herein. Der Rauch stieg allen in die Augen. Thomas maulte und verscheuchte die Lakaien wie Fliegen.

13. K APITEL ,
    in welchem ein Geheimnis offenkundig wird
     
     
     
    Margaret liebte es, wenn am Sonntagnachmittag im großen Zimmer neben der Küche das ganze Haus beisammen saß. Drei große Tische wurden zusammengeschoben und noch Stühle und Bänke aus den vorderen Zimmern herübergeholt, damit jeder seinen Platz zum Essen fand.
    Auf jedem Tisch stand schon ein großer Krug Wasser, daneben ein kleinerer mit Dünnbier. Margarets Bruder John verteilte dicke Scheiben altbackenes Brot, die er an jeden der vierundzwanzig Holzteller legte, dazu kam ein Löffel und ein Messer für das Fleisch, das man sich während des Essens auf die Brotscheibe legte, damit der gute Saft einzog und nicht verloren ging.
    Margaret und ihre Stiefschwester Alice würden das Brot später sammeln und den Korb am frühen Morgen nach Queenhithe tragen, um es dort in einem Hospital an Arme und Kranke zu verteilen.
    Margaret war unruhig, sie wusste nicht, warum. Dabei roch es wunderbar, sie hatte Appetit. Gleich nebenan am Feuer briet das Fleisch. Thomas hatte Hammel, Wildschwein und Fasane einkaufen lassen, dazu gab es Stockfisch sowie Märzkäse aus Florenz, Mus aus zerstoßenen Kirschen und französisches Konfekt. Auf der Anrichte standen Schalen mit Orangen und mit Nelken gespickten Äpfeln, die noch gebacken werden mussten.
    Es war gar kein besonderes Essen. Das Brot war, wie immer, dunkel und aus grobem Roggenmehl, obgleich Thomas sich teures, weißes hätte leisten können. Er war bescheiden; er sagte, wenn er Gott für dieses Brot dankte, konnte dieser Dank nur ehrlich sein, wenn es keinen Luxus gab oder gar Verschwendung. Weißes Brot war Luxus, immer schon. Die Ansicht passte sehr zu ihm, mit seinem Nesselhemd aus rauem Stoff, das er heimlich auf der Haut trug und von dem er sicher dachte, dass es niemand wisse. Sie, Margaret, wusste es genau. Thomas mied süßes Brot und Kuchen. Was keineswegs bedeutete, dass er es nicht backen ließ, aber für die anderen. Es ging ihm nicht ums Geld.
    An seinem Platz lag seine geliebte Gabel, ein kleines, dreizinkiges Spießchen, das er sich vor einem Jahr aus Brügge mitgebracht hatte. Ganz London lachte sich halb tot darüber! Statt das klein geschnittene Fleisch ganz einfach mit der Hand zum Mund zu führen, spießte Thomas es mit dieser Gabel auf und steckte sie sich in den Mund. Es sah zu komisch aus!
    Margaret holte die Salzfässer vom Regal und verteilte sie. Während sie es tat, ließ sie Thomas nicht aus den Augen, aber so, dass er nichts merkte.
    Sie hatte ein Gefühl und wurde es nicht los. Am Morgen – war er ihr begegnet, hatte nur genickt und war, wie in höchster Eile, an ihr vorbeigegangen. Die Art, wie er sich von ihr abgewendet hatte, war ihr seltsam distanziert erschienen.
    Es war gut möglich, dass Thomas längst ihr Geheimnis kannte. Er hatte diesen Tastsinn, mit dem er noch die kleinsten Regungen und Gefühle wahrnahm wie das Barthaar einer Katze. Am Ende wusste er genau, dass sie gestern alleine außer Haus gewesen und erst im Dunkeln heimgekommen war, dass sie Andrew heimlich traf und sich auch heute Abend noch am liebsten durch die Gärten schleichen würde, um ihn zu sehen, um ihn zu riechen und seine schönen Hände zu berühren. Und um sich von ihm küssen zu lassen, nicht auf den Mund natürlich. Und womöglich wusste er bereits, dass sie in seinem Arbeitszimmer den Brief abgeschrieben hatte. Mit seiner Feder, Tinte, seinem Streusand. Hatte er vielleicht die leeren Blätter auf seinem Tisch gezählt?
    Sie verteilte Löffel und Tücher. Um sie her war ein großes Gedränge, das ganze Haus war auf den Beinen, alle redeten durcheinander.
    Die Köchin stand drüben am Herdfeuer. Lady Alice ging ihr zur Hand. Sogar die Knechte hatte man hereingeholt und ihnen Küchenarbeiten zugewiesen. Die Mägde schnitten Lauch und flüsterten. William Gills redete auf Morlands Sekretär ein, ein bohnendünner Mann, der dauernd nickte. Linda Moss, die dumme Adoptivtochter im schwierigsten Alter, kicherte sich beinah tot, weil der nicht weniger simple John Clement, um sie zu ärgern, ihr dauernd an der Haube zog. Cecily, Margarets jüngste Schwester, tuschelte mit Max Heron,

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