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Die Seelenpest

Die Seelenpest

Titel: Die Seelenpest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Seidel
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Sänfte, während dieser Bengel dastand, die Hände an dem sorgfältig verschnürten Paket, und wartete, dass jemand aus dem Haus kam, um es entgegenzunehmen. Er, Thomas, stand am Fenster und sah, was vor sich ging, statt einzuschreiten. Stand da und gaffte, stritt mit irgendeinem Knecht, ging also nicht hinaus und störte, sondern schenkte seiner Tochter die Gelegenheit, dem jungen Mann zu helfen, ihn anzusehen, zu lächeln, weil er lächelte, zu nicken, weil er nickte, die Hände in die Luft zu heben und sich verlegen an den Hals zu fassen. Da werden ihre Blicke sich begegnet sein, keusch eigentlich, er kannte das, er kannte diese Katzenblicke, Blumenblicke, Sonnenblicke, die dich blenden, bevor du deine Augen schließen kannst, und die dein Herz bezirzen und alle Pläne für dein Leben löschen, nein: verbrennen!
    Thomas spuckte auf den Boden. Der Knochenknecht schnäuzte sich.
    »Der Gefangene John Whisper«, fragte Thomas heiser, »lebt er noch?«
    Der Henker glotzte.
    »Na, antworte!«
    »Ein bisschen, glaube ich.«
    »Was jetzt?«
    »Ich sehe nach.« Der Kerl schlurfte davon.
    Es war ein Geräusch, als schaufelte jemand Erde. Thomas hütete sich, näher heranzugehen. Es stank zu arg, der Boden klebte.
    Er wartete gereizt. Er hatte Angst, dass Whisper tot war und er, Thomas, nun ein Mörder, Totschläger, weil er nichts dagegen unternommen hatte. Aber einen Sünder retten? Und doch: War es nicht Gott, der letztlich richtete?
    »Was ist denn?«, rief er in die Dunkelheit. Die rechte Schläfe trommelte. »Ich warte! Ich habe nicht die Zeit der Welt! Hier ist es kalt und feucht…«
    Er hörte Schritte, Murmeln, sah nichts. Weiter drinnen lachte jemand hell, es klang fast wie ein Kind. Und tief dahinter heulte es wie hundert Wölfe, und dazu peitschte etwas, dass das Blut gefror.
    Thomas fühlte, wie in dieser Höllenschwärze der Verliese sogar Gott die Macht verlor, wie er sich abwendete von diesem Gräuel und nichts mehr retten wollte.
    Der mit der blutigen Lederschürze kam zurück. Er trug ein Öllicht und in der anderen Hand ein Tellerchen aus Blech.
    »Der lebt nicht mehr«, sagte der Blutknecht. »Ich dachte noch, er pustet, aber es war nur tote Luft.«
    Thomas tat unwillkürlich einen Schritt weg von ihm. »Was ist passiert? Wieso denn schon?«
    Er wollte die Antwort gar nicht hören. Wenn Whisper krank gewesen wäre, überlegte er, während des Verhörs womöglich schon, zu schwach für das Gefängnis, dann wäre er sowieso gestorben, morgen, übermorgen, in ein paar Tagen.
    »Er war nicht krank«, sagte der Henker, als hätte er’s geahnt. »Der Kerl war bockig. Er hat getreten. Sollen wir uns von den Gefangenen schlagen lassen?«
    »Bockig?« Thomas blinzelte angriffslustig. Er glaubte ihm kein Wort. Er wollte gehen. Der Blutknecht rief ihn zurück.
    »Und was ist hiermit?«, rief er. »Wollen Sie denn gar nichts haben, Sir? Wenn Sie den Gefangenen kannten oder jemand kennen, der ihn kannte. Die meisten Angehörigen möchten etwas haben, das sie mitnehmen können, etwas zum Erinnern, um es zu Hause in die Dose zu legen. Das gehört sich so. Für einen halben Penny, Sir…« Er hielt Thomas die Schale entgegen, hielt das Licht nah dran.
    In der Schale lagen, blutverschmiert, ein paar herausgerissene Fingernägel, etwas Haar, verklumpt.
    »Sonst frissts der Hund.«
    »Ich gönns ihm«, sagte Thomas und ging hinaus.

26. K APITEL ,
    worin ein Mörder statt zu töten selber Opfer wird
     
     
     
    Clatter konnte seit ein paar Tagen wieder laufen. Andrew lockte ihn zum Kellerausgang, wo sich der Hund für eine Weile noch vom Licht geblendet auf die Steine legte. Er flüsterte beruhigend und wartete geduldig. Schließlich stand der Hund auf und lief ein Stück hinaus, so gut, als wäre er nie schwer verletzt gewesen. Andrew pfiff nach ihm, warf Stöcke und bürstete das Fell. Der Hund winselte und rieb sich wie eine Katze an Andrews Hosenbeinen.
    Dass er Clatter bei sich haben würde, wenn er jetzt die Stadt verließ, um mit Clifford The Gully zu betreten, erschien ihm sicherer. Er übte ein, dass Clatter Abstand hielt und auf Befehl heranlief. Es machte großen Spaß. Der Hund gehorchte wie ein Kind, als ob er jedes Wort verstand. Er leckte Andrews Hände und wälzte sich vergnügt umher. Den halben Nachmittag war Andrew mit ihm am oberen Fleetufer entlanggelaufen. Jetzt waren beide hungrig und erschöpft. Andrew erklärte ihm, dass nichts zu essen da war. Für beide nicht. Clatter ging zu einer Pfütze,

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