die Seelenwächterin - Smith-Ready, J: Seelenwächterin
Dankbarkeit und ihr Frieden den Schmerz von uns nehmen.”
Rhia starrte Etars Leichnam an, sie hatte Angst. „Hätte er einen weiteren Monat gelebt, wenn du mich nicht zurückgebracht hättest?”
Coranna seufzte auf. „Es gibt Fragen”, sagte sie endlich, „die nur Krähe dir beantworten kann.”
Die Stunden der Nacht krochen dahin. Rhia sehnte sich nach dem großzügigen Licht der Sommersonne. Die Fackeln, die um den Scheiterhaufen standen, spielten mit den Schatten auf dem Waldboden und passten zu den Schreckgespenstern in ihren eigenen Gedanken. Seit der zweiten Nacht ihrer Weihung hatte sie sich nicht mehr so allein und verwirrt gefühlt. Ein bohrendes Schuldbewusstsein nagte an ihr, und sie fragte sich, was Etar mit einem weiteren Monat seines Lebens hätte anstellen können. Jetzt, da er tot war, mussten da die anderen Kalindonier eine noch größere Last auf ihre Schultern nehmen? Sie versuchte zu glauben, dass ihr Unwissen über den wahren Preis des Rituals sie unschuldig machte. Als ihr das nicht gelang, versuchte sie sich einzureden, dass es jetzt sowieso zu spät war und es keinen Sinn mehr hatte, sich deswegen weiterzuquälen. Aber tatsächlich stieg der Preis mit jedem Tag, den sie lebte, höher.
Eine der Fackeln verschwamm in ihrem Augenwinkel, und gerade als sie sich umdrehte, sagte Marek ihren Namen.
Er zog an ihrem Arm. „Komm einen Augenblick hier herüber.”
Sie blickte zu Coranna, die nickte und sich wieder dem Gebet oder der Meditation zuwandte, die sie unterbrochen hatten.
Marek führte sie hinaus aus dem Kreis der Fackeln. Er flüsterte ihr ins Ohr: „Meine Mentorin, Kerza, muss mit dir sprechen. Allein.”
„Etars Schwester?”
„Sag Coranna, du musst austreten, und geh zum nördlichen Ende des Dorfes. Kerza wartet dort auf dich. Du wirst sie nicht sehen oder hören, bis sie spricht. Sie wird wissen, ob es sicher ist, sich zu zeigen.”
Rhia nickte und kehrte zum Scheiterhaufen zurück. Nach einer kurzen Weile entschuldigte sie sich, nahm eine der kleineren Fackeln und machte sich auf den Weg.
Als sie sich dem Treffpunkt näherte, erklang das Flüstern einer Frau hinter dem kleinen Holzhaus hervor. Rhia folgte dem Geräusch, bis eine Hand nach ihrem Handgelenk griff. Auch wenn sie erwartet hatte, berührt zu werden, keuchte sie erschrocken auf.
„Danke, dass du gekommen bist”, sagte Kerza. „Ich wusste nicht, an wen ich mich sonst wenden sollte.”
„Ich verstehe nicht.”
„Ich sollte mich zeigen, damit du mir glaubst. Ich denke, es ist ungefährlich.”
Eine weißhaarige Frau mit nussbraunen Augen, in denen mehr als Trauer stand, tauchte neben ihr auf. Ihr Blick war voller Verbitterung.
„Hilf mir”, sagte Kerza. „Mein Bruder ist ermordet worden.”
Rhia war erstaunt, wie wenig sie darüber überrascht war. „Ich hatte mich schon gewundert.”
„Ich wundere mich nicht.” Kerzas Stimme durchschnitt die Luft. „Ich weiß es. Er wurde vergiftet.”
„Wer hat es getan?”
„Jemand im Rat.” Sie machte eine ungeduldige Handbewegung. „Lass mich erklären. Mein Bruder und ich sitzen beide ... ich meine, er saß im Rat.” Ihre Stimme zitterte. „Er war fünf dreijährige Perioden lang gewähltes Mitglied.”
„Fünfzehn Jahre? In Asermos rotiert die Führung des Rates wenigstens alle zwei Amtsperioden. So kann niemand uns zu lange seinen Willen aufzwingen.”
„Genau. Einige Ratsmitglieder haben solche Einschränkungen vorgeschlagen. Die Eingabe wurde immer und immer wieder abgelehnt, immer vier zu drei.” Sie senkte den Blick. „Wenn ich gewusst hätte, was dabei herauskommt, hätte ich anders gestimmt. Aber er ist mein Bruder – war mein Bruder -, und ich musste ihm treu sein.”
Rhia nickte. „Du glaubst, jemand hat Etar umgebracht, weil er es für den einzigen Weg hielt, ihn seiner Macht zu berauben.”
Kerza presste ihre Lippen zu einer schmalen Linie zusammen, als würde sie einen Sturm der Tränen zurückhalten.
Tröstend berührte Rhia ihre Hand. „Warum erzählst du mir das? Warum glaubst du, ausgerechnet ich kann dir helfen?”
Die Wolfsfrau atmete tief und bebend durch die Nase ein. „Die drei Ratsmitglieder, die versucht haben, die Eingabe durchzubringen, waren Zilus, der Falke, Razvin, der Fuchs ...”
Rhia riss die Augen weit auf. Konnte der Mann, der ihre Mutter und ihre Brüder verlassen hatte, immer noch zu einem solchen Verrat fähig sein?
„... und Coranna.”
Rhia ließ Kerzas Hand los und trat zurück. „Du
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