die Seelenwächterin - Smith-Ready, J: Seelenwächterin
Mädchen tauchte vor der Menge auf. Als sie Etars gebrochenen Körper sah, begann sie zu schwanken.
Alanka sprang vor, um das Mädchen aufzufangen, ehe es fallen konnte, und wiegte es dann in einer festen Umarmung. Aus seinem Aussehen schloss Rhia, dass es Pirriks jüngere Schwester war, und ihr wurde klar, dass Etar zum Zeitpunkt seines Todes bereits eine Eule in der dritten Phase gewesen sein musste.
„Arme Thera”, flüsterte eine der Frauen hinter Rhia, „hoffentlich kommt das Kind jetzt nicht zu früh.”
Coranna fing Rhias Blick auf und winkte sie zu sich. Rhia beeilte sich, sich der anderen Frau anzuschließen, und hoffte, dass niemand ihr kurzes Zögern bemerkt hatte. Coranna nickte zu Etar hinüber. Rhia fasste sie beide an der Hand, sodass sie zu dritt einen Kreis bildeten.
Alle wurden still. Rhia schloss die Augen und hörte nichts mehr als Pirriks und Theras unterdrücktes Schluchzen.
Ihre Welt erhellte sich. In einem Augenwinkel sah sie Coranna, im anderen Etar. Beide lächelten. Ihre Miene nachzuahmen fiel Rhia leicht, weil sie alle von einem pulsierenden Licht umgeben waren, das Liebe aus seiner Mitte ausstrahlte. Dieses Erlebnis war ein blasses Abbild ihres eigenen Todes, aber sie fühlte dennoch eine große Freude.
Als Krähe näher kam, ließ Coranna Etars Hand los, und Rhia tat es ihr gleich.
Etars Lächeln verblasste. In seinem Blick stand Verwirrung, und er sah aus, als wollte er zum Protest den Kopf schütteln. Dann verschwand er, eingehüllt in Krähes Schwingen.
Die helle Welt löste sich ebenfalls auf, und Rhia war wieder zurück in Kalindos. Noch ehe sie die Augen öffnete, fühlte sie die feuchte Erde unter den Knien. Doch das Bewusstsein der anderen Seite blieb wie ein Nebel hängen, und sie sehnte sich mehr als einen Augenblick danach, dorthin zurückzukehren.
Die Menge seufzte. Sanft legte Coranna Pirrik die Hand auf die Schulter.
„Dein Vater ist fort”, sagte sie. Sie stand auf und drückte Theras Hand. „Es tut mir so leid.” Ihre Stimme brach, und Rhia spürte, dass dieser Tod Coranna tiefer traf als die meisten anderen.
Eine ältere Frau weinte, während sie Thera tröstete. Rhia erkannte sie als die Wölfin Kerza, Etars Schwester. Alanka kniete sich neben Pirrik. Er schmiegte sich in ihre Umarmung und dämpfte sein Schluchzen an ihrem Hals.
Dann erschien Elora mit einer Decke und ihrer Heilertasche neben ihnen. Ein Blick in die Gesichter der Versammelten um Etars Körper herum sagte ihr, dass sie zu spät kam. Coranna winkte Elora, sich ihr und Rhia anzuschließen.
Leise fragte Elora: „Was ist geschehen?”
Noch leiser antwortete Coranna: „Ich hatte gehofft, das kannst du mir sagen.”
„Man sagt, er ist gefallen.”
„Ja, aber warum? Er mag alt gewesen sein, war aber alles andere als gebrechlich. In dem Augenblick, als er losgelassen hat, muss etwas von ihm Besitz ergriffen haben.” Sie blinzelte heftig und runzelte die Stirn, als würde sie sich an etwas erinnern, dann wandte sie sich an Rhia. „Finde mir ein halbes Dutzend starker Männer, die ihn zum Scheiterhaufen tragen können.”
Rhia wandte sich der Menge zu. Ihre Gedanken waren noch verschwommen von dem Aufenthalt auf der anderen Seite. Einige Männer waren bereits vorgetreten, um sich der beschwerliehen Aufgabe anzunehmen, und Rhia fand schnell noch drei weitere. Als sie zurückkehrte, hatte Elora das Blut von Etars Kopf gewaschen und ihn mit einer langen Binde verbunden. Sein Körper war in die Decke gewickelt, die sie mitgebracht hatte.
Die Menge teilte sich, um den ernsten Leichenzug durchzulassen. Gesichter, in denen noch vor einer Stunde Heiterkeit geleuchtet hatte, waren jetzt von Trauer umwölkt. Viele murmelten Gebete vor sich hin.
Sich ihrer Rolle unsicher, folgte Rhia Coranna auf dem ganzen Weg bis zum Scheiterhaufen. Die Krähenfrau schien die eigenen Gefühle zu zügeln wie aufbrausende Pferde. Rhia war sich nicht sicher, ob der Kloß der Trauer in ihrer eigenen Kehle vom Tod dieses interessanten alten Mannes herrührte oder von ihrer kurzen Rückkehr an diesen friedlichen, herrlichen Ort. Daran zu denken bereitete ihr mehr Heimweh als der Gedanke an Asermos. Ihre Hände und Füße kribbelten, als würden sie sich erwärmen, obwohl ihr nicht kalt gewesen war. Die Erschöpfung von ihrem langen Ritt und dem Tanzen war verschwunden.
Der Scheiterhaufen bestand aus langen Holzplanken, geschichtet, um einen Hohlraum zu bilden, der gerade groß genug für einen Erwachsenen war.
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