die Seelenwächterin - Smith-Ready, J: Seelenwächterin
Makabre noch zu betonen. Der Tod ist ernst genug, ohne dass wir wie mitternächtliche Boten herumstolzieren. Außerdem ist schwarze Farbe zu teuer.”
Vom Duft des Essens geführt, setzte Rhia sich zu ihr an den kleinen, niedrigen Tisch, der einige Fuß vom Ofen entfernt stand. Weiche Kissen, bezogen mit grobem Stoff, dienten als Stühle. Ein großer brauner Webteppich wärmte den Boden und gab der Küche ein gemütliches Aussehen, als wäre sie ein eigener Raum, getrennt vom Rest des Hauses.
Sie machten sich an die bescheidene Mahlzeit und aßen, ohne zu sprechen. In Rhia brannten Fragen – über Kalindos, Marek, Razvin und Coranna selbst -, aber sie wusste nicht, wie oder ob sie zuerst sprechen sollte.
Endlich schob Coranna ihren Teller von sich und seufzte zufrieden.
„Also, was hältst du von unserem Dorf?”
Rhia war sich noch nicht sicher, was sie dachte, und konnte nur eins mit Sicherheit sagen: „Es ist ruhig.”
„Im Augenblick. Der Winter hat Kalindos noch immer fest im Griff. Der Frühling neckt uns, umwirbt uns, aber er bleibt nie länger als einen halben Tag. Wenn der Frühling erst einmal seinen Mantel aufhängt und seine Schuhe ablegt, wird sich das Dorf in etwas ganz anderes verwandeln.” Sie schien ein Grinsen zu unterdrücken. „Außerdem sind die Kalindonier damit beschäftigt, dein Willkommensfest vorzubereiten.”
Rhia schluckte. „Aber sie schienen so unbeeindruckt davon, mich zu sehen.”
„Du wirst eine von uns sein, wenn du mit deiner Ausbildung beginnst.”
„Wann ist das?”
„In einigen Tagen, je nach Wetterlage. Bis dahin musst du dich ausruhen und Fuß fassen.” Sie machte eine ausladende Geste durch ihr ganzes Haus. „Gewöhne dich daran, in den Bäumen zu leben.”
Ein klirrendes Geräusch kam von der Tür her. Rhia sah hinüber und bemerkte eine kleine Lehmglocke. Ein dünnes Seil, das jetzt fest angezogen war, führte von der Glocke durch ein winziges Loch in der Tür. Coranna stand erstaunlich flink auf und öffnete.
Marek stand auf der Veranda. Er winkte Rhia zu. „Hallo.” Coranna sah zwischen den beiden hin und her. „Marek, wir müssen etwas besprechen. Allein.” Sie glitt zurück an den Tisch. „Gib mir eine Minute, um vom Mittagessen aufzuräumen.”
„Das kann ich doch machen”, sagte Rhia.
„Ah, einer der Vorteile, wenn man einen Lehrling hat.” Coranna nahm ihren Mantel. „Nachdem du aufgeräumt hast, ruh dich aus. In den nächsten Tagen wirst du deine Kräfte brauchen.”
Sie bedeutete Marek, ihr die Leiter vorauszugehen, was er nach einem besorgten Blick auf Rhia tat. Rhia wunderte sich über die Geschicklichkeit, mit der sie kletterten, und fragte sich, ob sie selbst je die Leitern hinabhangeln würde, als wäre es so normal, wie zu gehen – ob sie überhaupt je in der Lage sein würde, die Leiter hinabzusteigen. Mehr als alles andere wollte sie aber wissen, über was die beiden sprachen. Daran, dass es um sie selbst ging, bestand kein Zweifel.
Es dauerte nur einige Minuten, die Teller und Becher abzuwaschen und zu trocknen. Sie fand eine Eistruhe, in der sie das übrig gebliebene Essen aufbewahren konnte, und fragte sich, ob die meisten Häuser in Kalindos so viele Annehmlichkeiten besaßen wie Corannas. Ihre Gaben als Krähe waren wahrscheinlich unbezahlbar.
Auf Augenhöhe befanden sich in der Wand einige kleine Türen. Sie öffnete die, die ihr am nächsten war, und fand einen kalten Luftzug und eine Wand aus Grün vor.
Es war ein Fenster, fest versiegelt gegen die Elemente, wenn es geschlossen war, geöffnet jedoch bot es einen klaren Ausblick auf den Boden nahe dem Baum. Rhia spähte hinaus und kämpfte gegen den Schwindel an.
Marek und Coranna standen etwa zwanzig Schritte vom Baumstamm entfernt. Er hatte die Arme verschränkt und schüttelte den Kopf. Mit ruhiger Zurückhaltung deutete Coranna auf ihr Haus – auf Rhia. Marek drehte sich um, als wollte er gehen. Coranna legte eine Hand auf seinen Arm, und er schob ihn von sich. Rhia bemühte sich, Worte auszumachen, aber der Wind in den Piniennadeln verschluckte ihre Stimmen, bis sie nur noch ein Murmeln waren.
Dann sah Marek zu Rhia auf. Sein Blick schien sie anzuflehen, davonzurennen. Coranna folgte Mareks Blick nicht, aber sie redete eindringlich auf ihn ein und drückte seinen Unterarm.
Der Wind verstummte. Marek drehte sich zu Coranna um, und Rhia hörte ihn brüllen: „Was, wenn du es nicht kannst?”
Langsam neigte Coranna den Kopf und sagte etwas, das Rhia
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