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die Seelenwächterin - Smith-Ready, J: Seelenwächterin

die Seelenwächterin - Smith-Ready, J: Seelenwächterin

Titel: die Seelenwächterin - Smith-Ready, J: Seelenwächterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeri Smith-Ready
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das schon. Sieh nur nicht hinab.”
    Coranna spähte über das hölzerne Geländer ihrer Terrasse nach Rhia, die sich mit weißen Knöcheln und zitternd an die Baumleiter klammerte. Sie war ohne Vorbehalte drei Viertel des Weges hinaufgeklettert, bis sie auf einmal Schwierigkeiten hatte, mit dem Fuß die Sprosse zu finden. Dann hatte sie den Fehler gemacht, nach unten zu sehen, um sie zu suchen.
    Der Waldboden schrumpfte und schwoll an, und die Bewegungen der Menschen unter ihr wurden hektisch. Rhia starrte, ohne zu blinzeln, auf den Boden. Der Gedanke an plötzliche Dunkelheit in dieser Höhe bereitete ihr schreckliche Angst.
    „Sieh mich an, Rhia.” Corannas beruhigende Stimme zeigte nur eine Spur Ungeduld. „Mach einfach so weiter wie bisher. Klettere.”
    „Ich ... k...kann nicht”, presste Rhia zwischen klappernden Zähnen hervor. Angst löschte jede Scham aus.
    „Na gut, ich habe zu tun, also sehen wir uns, wenn du es geschafft hast.”
    Rhia hörte, wie Coranna die Tür ihres Hauses über ihrem Kopf öffnete und wieder schloss. Erleichterung machte sich in ihr breit. Eine Person weniger, die dabei zusah, wie sie in den Tod stürzte.
    Nein. So was Dummes.
    Sie schloss die Augen und lehnte die Stirn gegen eine Sprosse. Ein guter Anfang, nicht mehr nach unten zu blicken. Die Drehung der Welt verlangsamte sich und hörte dann ganz auf. Sie begann wieder, volle, wenn auch bebende Atemzüge zu nehmen.
    Gut. Es ging ihr gut, wo sie war, sie war damit zufrieden, den Rest ihres Lebens an der Leiter zu hängen. Sie würde nicht fallen, wenn sie sich nie wieder bewegte. Ganz sicher. Gut.
    Genauso dumm.
    Sie würde sich nach oben bewegen. Oben. Oben war näher, und nach oben wollte sie. Richtig? Ja, nach oben. Sie würde sich bewegen.
    Aber was zuerst bewegen, Hand oder Fuß? Sie dachte einige Augenblicke darüber nach. Es hatte sich den ganzen Weg nach oben normal angefühlt, Hände und Füße gleichzeitig zu bewegen, aber jetzt erschienen ihr solche akrobatischen Übungen unmöglich.
    Sie lockerte den Griff ihrer linken Hand, griff dann aber panisch wieder fester zu. Dann eben ein Fuß. Sie würde einen Fuß bewegen.
    Ein Zeh zuckte und erstarrte. Dann eben kein Fuß.
    Rhia wünschte sich, nie nach Kalindos gekommen zu sein. Was hatte sie und Galen glauben lassen, dass sie es wert war, sich dem Tod selbst zu stellen, wenn sie nicht einmal auf einen Baum klettern konnte?
    Der Tod selbst.
    Krähe.
    Bitte hilf mir, betete sie zu ihrem Geist. Ich kann dir nicht dienen ohne die Kraft, meine Ängste zu überwinden. Gewähre mir den Mut für kleine Augenblicke wie diesen, und ich schwöre, ich werde ihn für die größeren in mir selbst finden.
    Ohne auf eine Antwort zu warten, hievte Rhia sich auf die nächste Sprosse. Sie kreischte vor Angst und Erleichterung und tat das Gleiche dann noch einmal und noch einmal, und bei jeder Bewegung nach oben wurde ihre Stimme schwächer, bis sie schließlich Hand auf Hand, Fuß nach Fuß bewegte, ohne stehen zu bleiben. Ihr Atem kam stoßweise, aber regelmäßig, und als sie Corannas Veranda erreichte, brach sie nicht zusammen und klammerte sich an den Boden, wie sie es sich vorgestellt hatte. Stattdessen stand Rhia auf, zog sich den Mantel zurecht und öffnete die Tür, als würde sie eine solche Behausung jeden Tag ihres Lebens betreten.
    Coranna wandte sich halb vom Herd ab. „Ah, gut. Leg deinen Beutel auf das saubere Bett und setz dich mit mir zum Essen.”
    Rhia stieß einen bebenden Atemzug aus und sah sich um. Das Baumhaus war kleiner als ihr Heim in Asermos. Links von der Tür gab es eine Küche mit Herd und einem niedrigen Tisch. Rechts standen zwei Betten, eines in jeder Ecke. Das weiter entfernte hatte zerwühlte Decken, das andere, neben ihr, war ordentlich bezogen. Rhia duckte sich unter einem großen Ast, der durch die Wand hinein- und durch die Decke hinauswuchs, und nahm dann ihren Beutel vom Rücken und legte ihn auf das Bett.
    Der Raum war sauber, aber unordentlich. Tontöpfe standen verstreut auf hölzernen Regalen an der Wand neben ihr. Zwei Haufen Wäsche – ein großer, ein kleiner – lagen an der gegenüberliegenden Wand neben Corannas Bett. Mehrere leuchtende Farben und viele weiße Stücke blitzten aus dem größeren Haufen hervor.
    „Wir tragen niemals Schwarz, du und ich.” Coranna deutete auf die Klumpen aus Kleidung, während sie zwei dampfende Teller zum Tisch trug. „Nichts gegen Krähe und sein gefiedertes Gewand, aber es hat keinen Sinn, das

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