die Seelenwächterin - Smith-Ready, J: Seelenwächterin
wie Coranna zu ihrer Beziehung stand.
„Aber andererseits”, fuhr Coranna fort, „kennt er dich mittlerweile wahrscheinlich besser als alle anderen.”
Rhia kommentierte das besser nicht und tat so, als würde sie unter einem verwesenden Baumstamm nach Wurzeln suchen. „Werden wir ihn heute sehen?”, fragte sie und hoffte, dabei gelassen zu klingen.
Coranna zögerte. „Ich habe ihn gebeten, sich fernzuhalten.” Rhia ließ den Baumstamm los, und er fiel ihr auf den Fuß. „Au. Warum?”
„Marek steht mir beim ersten Teil deiner Ausbildung zur Seite. Um das zu tun, muss er seine Gefühle vergessen.”
Vorsichtig zog Rhia den Fuß unter dem Baumstamm hervor. „Das verstehe ich nicht.”
„Das wirst du. Deine Ausbildung beginnt morgen.” Sie deutete gen Westen. „Die Spinnenfrau sagt, das Wetter ist dann genau richtig.”
„Was für Wetter brauchen wir denn?”
„Kaltes.”
Coranna bewegte sich abrupt, als wollte sie damit das Ende des Gesprächs andeuten. Rhia folgte ihr und fühlte die kommende Kälte bereits in den Knochen.
„Erzähl mir von meinen Brüdern.”
„Sie sind ...” Rhia suchte nach schmeichelnden Worten, mit denen sie Lycas und Nilo beschreiben konnte, und gab dann doch auf. „Sie machen einen wahnsinnig.”
Alankas dunkle Augen leuchteten, als sie von dem Trut-hahn, den sie rupfte, aufblickte. „Ich wünschte, ich würde sie kennen. Sehen sie aus wie ich? Ohne Brüste natürlich.”
„Sehr. Meine Mutter dachte, Lycas wird Wolf – sein Name bedeutet Wolf. Aber sie sind beide Bärenmarder.”
Lachend warf Alanka den Kopf in den Nacken. „Du bist mit Zwillingsbärenmardern aufgewachsen? Dann bist du härter, als du aussiehst.”
Rhia lächelte in sich hinein. Niemand hatte sie je „hart” genannt.
Sie schaufelte die befreiten Federn in zwei Säcke – die Flügelfedern waren für Pfeile und zeremonielle Roben, und die weichen, kleinen Daunenfedern wurden in Matratzen, Kissen und das Futter von Mänteln gestopft.
Eine dunkle Feder erinnerte sie an ihren Albtraum von den Krähen. „Kannst du Träume deuten?”, fragte sie Alanka.
„Nein, aber ich kann so tun. Hat Marek mit einer Schlange nach dir gewunken? Ich weiß, was das bedeutet.”
Rhia lachte und berichtete Alanka dann von den Details ihres Traums. „Was, glaubst du, hat das zu bedeuten?”
Alanka schüttelte den Kopf und wandte sich wieder dem fast nackten Vogel zu. „Ich bin ein Jäger. Ich lauere, ich töte, und ich danke den Göttern. Das ist alles, und ich bin froh darüber. Dein Weg ist komplizierter.”
Nachdenklich streichelte Rhia die Feder. „Meine Ausbildung beginnt morgen.”
Alanka zuckte zusammen und versuchte ihren Schreck mit einem schiefen Grinsen zu überspielen. „Das ist wunderbar. Ich freue mich schon auf das Gelage.” Sie stieß mit dem Fuß gegen den Vogel. „Auch Bruder Truthahn hier freut sich.” Sie hustete und schluckte dann hörbar.
„Was ist los? Was ist so furchterregend an meiner Ausbil-dung?”
„Nichts, nichts.”
„Liegt es daran, dass niemand in Kalindos mich auch nur ansieht?”
Dieses Mal begegnete Alanka ihrem Blick, Bedauern lag in dem ihren. „Rhia, bitte frag mich nicht mehr. Ich hasse es, Geheimnisse vor dir zu haben, aber du musst es selbst herausfinden.” Sie entspannte sich ein wenig. „Ich weiß nur eins: Als ich euch gestern auf dem Pfad begegnet bin, hat Marek glücklicher ausgesehen als in der ganzen Zeit, seit seine Frau gestorben ist.”
Rhia wurde innerlich warm, aber sie sprach ernst weiter: „Was mit ihr geschehen ist, ist schrecklich.”
„Ich wünschte, es käme nicht so häufig vor. Elora ist unsere Otterheilerin, aber wenn eine Geburt kompliziert wird, könnten wir wirklich eine Schildkröte gebrauchen.” Alanka warf sich den Zopf über die Schulter, fort vom Truthahn. „Nachdem Mareks Frau und ihr Säugling gestorben waren, hat Elora zwei Frauen, die noch am Anfang ihrer Schwangerschaft standen, nach Asermos geschickt, damit sie mithilfe einer Schildkrötenfrau gebären konnten. Sie wusste, dass sie die Hilfe benötigten.”
„Haben sie überlebt?”
Alanka nickte. „Die Mütter und ihre Kinder – allen geht es gut, und sie sind wohlauf. Ich wünschte, ich könnte das Gleiche von Marek sagen.”
„Es ist seltsam, dass er nach all der Zeit seine Gaben noch nicht kontrollieren kann. Es muss schwer sein, dem Wolfgeist zu dienen.”
„Ich glaube, Wolf würde nur zu gerne aufhören, Marek zu bestrafen, wenn er nur
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