die Seelenwächterin - Smith-Ready, J: Seelenwächterin
aufhören wollte, sich selbst zu bestrafen.”
Rhia entschloss sich, das Thema zu wechseln. „Hast du einen Freund?”
„Ich dachte schon, du fragst nie.” Alana zählte an ihren Fingern ab. „Ich hatte Adrek, einen Puma, er war der erste. Danach Morran, einen Rotluchs, und Endrus, noch einen Puma.” Alanka seufzte. „Da habe ich endlich meine Lektion gelernt. Aller guten Dinge sind drei, richtig? Katzen bleiben nicht an einem Ort. Jetzt habe ich Pirrik, Etars Sohn. Er ist Otter, also hält es vielleicht länger.”
„Meine Mutter war Otter. Jemand Liebevolleren kannst du nicht finden.”
„Ich weiß, das ist er. Und verspielt. Wir haben uns gemeinsam einige unglaubliche Spiele ausgedacht – und damit meine ich keine Kinderspiele. Und wenn ich je krank würde, könnte Pirrik sich um mich kümmern, aber ...”
„Aber du magst Katzen.”
Alanka wurde rot. „Ich hebe Katzen.”
„Was machst du jetzt?”
„Ich habe mir gedacht, wenn ich bereit bin, ein Kind zu haben, tue ich es, selbst wenn mein Partner mich nicht heiraten kann oder will. Ich kümmere mich dann später darum, einen zuverlässigen Ehemann zu finden.”
„Macht man das hier so?”
„Wenn es nötig ist.” Alanka seufzte. „In Kalindos geht es bei der Ehe nicht darum, Kinder zu bekommen. Es geht darum, den Menschen zu finden, mit dem man für immer seinen Geist teilen will.” Sie deutete von sich selbst zu Rhia. „Menschen wie wir, Wölfe, Krähen, Schwäne, Otter und andere, wir wollen beides – eine Familie mit unserem Seelenverwandten. Aber so geschieht es nicht immer.” Sie starrte sehnsüchtig ins Dorf. „Zu viele Katzen.”
Rhia dachte darüber nach, warum die Geister verschiedene Tiere in die zwei Dörfer beriefen. Stabilität war die Grundfeste einer Bauerngemeinschaft wie Asermos, also waren die meisten Geister dort Tiere, die nur einen Partner zurzeit nahmen, und das machte es einfacher, eine Verpflichtung wie die Ehe einzugehen. Hier, in Kalindos, wo das Leben gefährlicher war, fühlten sich die Menschen gedrängt, früh und viele Kinder zu bekommen. Nur nicht zu früh, dachte sie, und erinnerte sich dabei an Marek und seine unfreiwillige Unsichtbarkeit.
Als sie daran dachte, dass sie Marek in der Nacht nicht sehen konnte, erinnerte sie sich daran, dass sie ihn am Tag auch nicht sehen konnte und warum.
„Erinnerst du dich an den ersten Tag deiner Ausbildung?”, fragte sie Alanka.
Das Mädchen strahlte. „Das war erst vor einem halben Jahr, direkt nach meiner Weihung. Ich bin mir Marek und Kerza, einer Wölfin in der dritten Phase, auf Jagd gegangen. Sie kann unsichtbar werden, wann sie will, Tag und Nacht. Jedenfalls bin ich immer gut mit Pfeil und Bogen gewesen, aber nach meiner Weihung war es, als wären sie ein Teil meines Körpers – ich musste etwas nur ansehen, um es zu treffen. Es war Magie.” Alanka atmete tief ein. „Und die Gerüche und die Geräusche -der ganze Wald ist lebendig geworden. Ich habe mich gefühlt, als wäre ich vor jenem Tag blind gewesen.”
„Aber deine Ausbildung hat dir keine Angst bereitet?” „Uberhaupt nicht.”
„Und du hast kein besonderes Ritual begangen?”
Alanka zuckte mit den Schultern. „Ein oder zwei Gebete zum Anfang und natürlich die normalen Danksagungen an den Geist der Gejagten.”
„Und beim Gelage danach – was für Essen hat es gegeben?” „Es gab kein Gelage, wir haben einfach nur ...” Alanka schloss den Mund. „Egal.”
Rhia hörte auf, weiter nachzufragen. Sie hatte genug Teile des Puzzles zusammen, um von Coranna die ganze Wahrheit zu fordern.
Als Rhia am frühen Abend nach Hause kam, war Coranna dabei, einen großen Sack zu packen.
„Wohin gehen wir morgen?”, fragte Rhia.
„Du wirst schon sehen.”
„Wann brechen wir auf?”
„Früh.”
„Was wird geschehen?”
„Du wirst schon sehen.”
„Ich will nicht sehen.” Ihre Handflächen wurden feucht. „Ich will es wissen.”
Coranna hörte auf zu packen, blickte hoch und erhob sich zu voller Größe. „Du willst es nicht wissen.”
„Bis es zu spät ist, meine Meinung zu ändern, meinst du.” „Deine Meinung ändern?” Corannas Lachen hallte wie eine Glocke. „Dafür war es schon zu spät, als Krähe dich auserwählt hat.”
„Warum sagst du es mir dann nicht?”
Coranna schürzte ihre Lippen und nickte. „Aber zuerst iss etwas.” Sie glitt an den Herd und füllte zwei Teller Eintopf auf.
Eine unangenehme Vorahnung beschlich Rhia, und ihr wurde übel,
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