Die Segel von Tau-Ceti
»Einblicke« wurden durch das Sonnenlicht ermöglicht, das durch kleine Risse in der Oberfläche des Lichtsegels drang — dieselben Risse, die die Kommunikation des phelanischen Schiffs mit der Flotte unterbunden hatten.
Dann wurde sie sich der hektischen Aktivitäten zu ihrer Linken bewusst. Dort, in der Senke der Kammer, hatten Dutzende Räte sich um Informationsbildschirme geschart. Ein paar waren auf Nachrichtenkanäle geschaltet, während andere direkt mit den Heimatorten der Räte auf der ganzen Welt kommunizierten. Man vernahm Flüche und Gebete, als den Mächtigen des Sonnensystems das ganze Ausmaß der Finsternis bewusst wurde.
Als die Sonnenfinsternis ungefähr zwanzig Minuten gedauert hatte, verflogen bei Tory auch die Zweifel wegen der Temperatur in der Kammer. Es wurde spürbar kälter. Sie dachte an die Quadrilliarden Erg, die normalerweise in jeder Minute die Erde trafen und die nun weit draußen im Weltraum vom Lichtsegel abgefangen wurden. Sie bibberte, obwohl die Heizungen an den Wänden schon kirschrot glühten. Die Temperatur fiel stetig. Der laue Spätsommertag hatte sich in einen Wintertag verwandelt. Und es würde noch kälter werden. Viel kälter!
Zweiundvierzig Minuten nach dem Beginn der Sonnenfinsternis begann es zu schneien. Tory hatte extra noch einen Blick gen Himmel geworfen, bevor sie das Gebäude betrat. Die paar Schäfchenwolken hatten keineswegs wie die Vorboten eines Sturms gewirkt. »Warmluft vermag mehr Feuchtigkeit zu transportieren als Kaltluft«, ertönte die Stimme ihrer Lehrerin aus der sechsten Klasse in ihrem Kopf. Damals war das eine fremde Vorstellung für eine Zwölfjährige auf einem Planeten gewesen, auf dem es überhaupt keine Luftfeuchtigkeit gab. Nun wurde ihr dieses Phänomen anschaulich vor Augen geführt. Sie beobachtete, wie die kleinen Flocken auf die transparente Kuppel fielen und bei der Berührung mit dem noch warmen Glas schmolzen.
Und sie war nicht die Einzige. Tausend aschfahle Gesichter wandten sich voller Erstaunen dem Schneesturm mitten im Sommer zu. Das anfängliche Chaos auf der Erde war inzwischen aber wieder abgeflaut. Die Nachrichtenkanäle brachten Berichte von Schiffen im Weltraum, die die Ursache der Sonnenfinsternis erklärten. Die Behörden forderten die Bevölkerung auf, Ruhe zu bewahren. Der Geruch von Rauch, der von der Klimaanlage durch die Belüftungsschächte hereingetragen wurde, sagte Tory aber, dass nicht jeder dieser Aufforderung Folge leistete.
Reporter im Marinehauptquartier zitierten unbestätigte Berichte, wonach die ganze Flotte Kurs auf das außerirdische Sternenschiff genommen hatte. Dem Vernehmen nach war das nächste Schiff aber immer noch über hunderttausend Kilometer vom Lichtsegel entfernt — zu weit weg, um etwas ausrichten zu können.
Und die vier Phelaner saßen teilnahmslos da und beobachteten die verängstigten Menschen um sie herum. Nur Neirton zeigte überhaupt eine Gefühlsregung. Er befand sich hier in einem riesigen Labor und vermochte seine Studien am »lebenden Objekt« durchzuführen - faszinierend. Tory wurde sich auch bewusst, dass sie die Leute in ihrer Nähe gezielt beobachtete. Am interessantesten waren die Marinesoldaten, die die Hauptbühne wenige Minuten nach dem Eintritt der Sonnenfinsternis umstellt hatten. Sie richteten auch alle paar Sekunden besorgt den Blick gen Himmel, ließen sich davon aber nicht an der Erfüllung ihrer Aufgabe hindern. Sie bildeten einen Kordon um die Außerirdischen, die diese Katastrophe verursacht hatten — einmal, um einen Fluchtversuch zu verhindern und dann zu ihrem Schutz.
Genau eine Stunde nach Ausbruch der Sonnenfinsternis erhob sich Faslorn und ging zum Podium. Es dauerte eine Minute, bis man überhaupt Notiz von ihm nahm und dann noch einmal ein paar Minuten, bis die Ordnung so weit wiederhergestellt worden war, dass ein Sprecher sich bei dem Lärm bemerkbar machen konnte. Die Disziplin wäre aber vielleicht nie wieder hergestellt worden, wenn nicht ein fahles Licht sich im Schneetreiben gezeigt hätte. Faslorn wartete, bis die Welt wieder von einem Zwielicht erhellt wurde und setzte die unterbrochene Rede dann fort:
»Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, Menschen von Sol, dass dies noch die harmloseste unserer Möglichkeiten ist. Das Lichtsegel unseres Schiffes hätte genauso gut das Sonnenlicht auf diesen Planeten zu konzentrieren und weite Teile der Oberfläche zu verdampfen vermocht. Zwanzigtausend solcher Schiffe könnten Sie in eine jahrelange
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