Die Seherin von Garmisch
Staatsanwältin
erinnerte ihn wieder daran, in welche peinsame Bredouille er von dem jungen
Mann gebracht worden war.
Severin Kindel druckste eine Weile herum, bis er sich
endlich eine verständliche Antwort zurechtgelegt hatte.
»I wollt’s dene zeign. Wanns unbedingt an Satanisten
habn wolln, sollns an kriagn, hab i mir denkt. Und da hab i mi angmalt und de
Klamottn zsammgsucht. Hätt ja auch passt, wenn …«
»Wenn Sie nicht versucht hätten, eine Spur in einem
Fall mit mittlerweile drei Toten zu verwischen«, bellte Schafmann.
»Drei?« Severin sah verständnislos in die Runde.
»Wieso drei?«
»In der Wohnung eines nur als Petr bekannten Mannes in
Burgrain wurde heute ein Mann erschossen aufgefunden«, sagte Schwemmer.
»Da Petr a?«
»Nein. Offenbar nicht Petr. Ein noch nicht endgültig
identifizierter Mann mittleren Alters.«
»Sakra«, murmelte Severin.
»Was meinten Sie eben mit ›Hätte ja auch gepasst‹?«,
fragte Schwemmer. » Was hätte gepasst?«
»I hab schon an Termin ghabt mitm Högewald. Für an
Interview. Aber grad da müssts ihr mi verhaftn.« Er sank in wütender
Resignation in sich zusammen.
»Sie wurden nicht verhaftet, Herr Kindel«, sagte
Isenwald eisig.
»Von mir aus. Aber mitkommn hab i ja gmusst, oder hab
i d’ Wahl ghabt? I wär ja mitkommn. Aber halt a halbe Stund später …«
Schwemmer traute seinen Ohren nicht. »Dann tragen Sie
dieses alberne Kostüm für den Högewald? Ausgerechnet für den wollen Sie sich
zum Affen machen?« … haben Sie mich zum Affen gemacht, hätte er fast gesagt,
aber er verkniff es sich angesichts Frau Isenwalds immer noch unterkühlter
Miene.
»Was soll’s?«, fragte Severin, unverändert wütend.
»Schreibn tut der sowieso, was er will. Aber für des Interview hätt i sechs
große Scheine kriagn solln. Scheiße! Dreitausend Euro! Weißt, was des für mi
gwesn war?« Er starrte die Wand an.
Dreitausend Euro dafür, dass ein Halberwachsener ihm
erzählt, was er hören will. So funktioniert Högewalds Journalismus, dachte
Schwemmer. Die Tatsachen so lange verdrehen, bis sie wirklich krumm sind. Und
sie mir dann in die Eier rammen.
»Sie haben weder sich noch uns einen Gefallen damit
getan, Herr Kindel«, sagte Frau Isenwald. Der Blick, mit dem sie Schwemmer
streifte, hatte fast wieder Raumtemperatur.
»Wieso nennt Georg Schober Sie Chef?«, fragte Schafmann.
»Chef? Des is mein Name bei de andern. A in da Schul.«
»Also sind Sie der Chef?«
»Naaaa! Des kommt von Sev und des halt von Severin.
Des is ois. I bin ned da Chef.«
»Und wer ist der Chef?«
Severin zuckte die Achseln. »Mir habn koan Chef. A
wenn da Schibbsie sich manchmal so aufführt … Wieso wissens des überhaupts?
Dass da Girgl mi Chef nennt?«
Schafmann ging nicht darauf ein. »Und der Name
Schibbsie kommt wo her?«, fragte er.
»Von Schieb, Siegfried. So heißt der halt. Aber kein
Mensch heißt eam Siegfried. Und dann muss da a Sportlehrer gwesen sei, der hat
die Anwesenheit immer so kontrolliert, mit de verdrehtn Namen. Eben Schieb,
Siegfried. Und da hat sei Klass eam halt Schibbsie gheißn.«
Schafmann drehte sich zu Schwemmer und Isenwald. »Ich
glaub, wenn meine Eltern mich Siegfried Schieb getauft hätten, würd ich auch
Death-Metal spielen«, sagte er.
Severin starrte ihn böse an. »Mir spuiln kein
Death-Metal.«
Schwemmer nickte zustimmend. »Die spielen Grindcore«,
sagte er. »Die sind politisch.«
* * *
»Klingt mir nicht glaubwürdig, diese Chef-Sache«,
sagte Schafmann. »Wenn jemand Chef genannt wird, wird er es auch sein.«
»Ja«, sagte Frau Isenwald. »Die Sache mit dem
Spitznamen kommt mir auch komisch vor.«
Frau Fuchs brachte Espresso für Frau Isenwald, Kaffee
für Schwemmer und Lebkuchen-Latte für Schafmann herein.
»Ich bin nicht sicher. Als ich noch in Ingolstadt
war«, sagte Schwemmer und ignorierte routiniert die beiden verdrehten
Augenpaare, »da gab es einen Kollegen, den nannten alle ›Elch‹, obwohl er Wolfgang
Leitmeier hieß. Alle nannten ihn so, aber als ich mal nachgefragt habe, wusste
keiner, wieso eigentlich. Er erzählte mir dann Folgendes: Weil er
überdurchschnittlich lang war, nannten sie ihn in der Schule ›Elend‹, als
Kurzform von ›Langes Elend‹. Daraus wurde irgendwann erst ›Elias‹ und daraus
dann eben ›Elch‹. Den Namen ist er nie mehr losgeworden.«
»Aha«, sagte Isenwald.
»Nur ein paar Freunde, die nannten ihn Pappi«,
ergänzte Schwemmer.
»Hatte er Kinder?«, fragte
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