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Die Sehnsucht der Falter

Die Sehnsucht der Falter

Titel: Die Sehnsucht der Falter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Klein
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Zimmer und den Flur entlang. Drei Stunden lang habe ich nur geweint. Ich bin nicht zum Abendessen gegangen. Was kümmert es mich, wenn ich noch mehr Probleme bekomme. Mrs. Halton hat nicht nach mir gesucht. Sie hat sich fern gehalten. Sie glaubt, ich wolle mit Miss Rood sprechen.
    Ernessa tötet Lucy. Sie will sie in etwas verwandeln, das ihr gleicht, um sie ganz und gar zu verzehren. Das Töten macht ihr nichts aus. Es ist nur Mittel zum Zweck. Sie führt sie in den Tod. Und Mrs. Halton hält ihr dabei die Tür auf.
3. März
    Lucy liegt im Krankenhausbett. Sie hat nicht mehr die Kraft, die Hand zu heben oder die Augen zu öffnen, aber das ist egal, weil es auch keinen Anlass dafür gibt. Ihr ist alles egal. Sie ist absolut ruhig. Sie ist bereit.
    Ich warte auf die Nachricht, Lucy sei gestorben. Bisher habe ich noch nichts gehört. Vielleicht hat Mrs. Halton es nur gesagt, um mich zu quälen, ein geschmackloser Scherz.
    Lucy muss noch am Leben sein, sonst hätte jemand etwas gehört. Irgendjemand hätte es herausgefunden. Sie können es nicht geheim halten.
4. März
    Ich bin nicht dafür bestraft worden, dass ich die Porzellanschäferin zerbrochen habe. Wenn ich im Flur an Mrs. Halton vorbeigehe, wendet sie sich ab. Sie weiß, was ich weiß. Sie hat Angst, mich anzuschauen.
    Ich kann sie nicht nach Lucy fragen. Ich kann nur warten.
5. März
    Ich habe lange auf sie gewartet. Habe das Frühstück sausen lassen. Ich hatte Angst, sie zu verpassen. Die anderen Mädchen vom Flur kamen und gingen, ich stand nur still in der Tür. Niemand sprach mit mir. Dann läutete es zur Versammlung, doch sie tauchte noch immer nicht auf. Sie ist ein Mensch, der alles in letzter Sekunde macht, noch über die letzte Sekunde hinaus wartet und es gerade, bevor die Tür zugeht, zur Versammlung, zum Abendessen oder zum Unterricht schafft.
    Als die Tür aufging und sie herauskam, war ich trotzdem überrascht, obwohl ich eine Stunde auf sie gewartet hatte.
    Sie sah mich an, während sie die Tür hinter sich zuzog. »Hast du verschlafen?«
    »Warum sie?«, fragte ich.
    Sie antwortete nicht.
    »Warum nicht Kiki, Carol oder Betsy?«
    »Das Gleiche könnte ich dich fragen.«
    »Weil sie meine Freundin ist.«
    »Warum stehst du hier rum und wartest auf mich, wenn sie deine Freundin ist?«
    »Du und Mrs. Halton versucht, mich von ihr fern zu halten.«
    »Mrs. Halton? Was kann die denn schon tun? Dich einschließen und den Schlüssel wegwerfen?«
    »Ich habe schon genügend Probleme mit ihr.«
    »Niemand hält dich auf. Du kannst tun, was du willst.«
    Ernessa ging ein Stück den Flur entlang. »Wie sieht sie aus?«, rief ich ihr nach. Meine Stimme klang so verzweifelt, dass ich sie nicht erkannte.
    »Die Versammlung fängt an. Ich bin spät dran. Du auch.« Sie ging weiter. Ich lief ihr nach und packte sie am Arm. Ich wollte, dass sie stehen blieb und meine Frage beantwortete. Sie kommt und geht, wie es ihr gefällt. Niemand kann sie zu etwas zwingen, das sie nicht will. Sie schleuderte mich weg. Ich prallte so heftig gegen die Wand, dass es mir den Atem nahm. Sie schob den Pulloverärmel hoch und deutete auf ihren Arm. »Sieh nur, was du gemacht hast«, brüllte sie.
    Ich konnte den Abdruck meiner Hand auf ihrem Unterarm erkennen, als hätte ich in Lehm statt in Fleisch gegriffen. Die Haut war rot und geschwollen. Als ich sah, was ich getan hatte, wurde mir schlecht.
    Sie schaffte es zur Versammlung, aber ich bin nicht hingegangen. Ich werde furchtbare Schwierigkeiten bekommen.
6. März
7. März
8. März
    Ich habe gerade mit Lucy gesprochen! Falls jemand mit Toten reden kann, dann habe ich das soeben getan. Sie klang wie jemand, der ganz weit weg ist. In einem hat Mrs. Halton jedenfalls nicht gelogen. Sie war wirklich krank, und die Ärzte glaubten, sie würde sterben. Ihr Herz und ihre Lungen waren mit Flüssigkeit gefüllt, sie mussten eine Drainage legen. Bis gestern wurde sie über einen Schlauch beatmet. Selbst heute am Telefon konnte sie kaum sprechen.
    Carol rief mich ans Telefon. Sie sah ganz komisch aus, als ich im Flur an ihr vorbeikam. Vermutlich meine Mutter, dachte ich, die mir sagen will, dass sie mich am Freitag nicht abholen kann. Ich will nicht mit ihr reden, ihr etwas vorspielen. Ich nahm den schwarzen Hörer, der wie ein kleines Tier auf dem Telefontischchen lag.
    »Hi, ich bin’s«, erklang die Stimme aus der Leitung. Ich musste mich anstrengen, um sie zu verstehen, und sie musste nach jedem Wort Luft holen. Ihre Stimme

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