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Die Sehnsucht der Konkubine

Die Sehnsucht der Konkubine

Titel: Die Sehnsucht der Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Furnivall
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und bemerkte, dass seine ganze Aufmerksamkeit einer Seite im Mittelteil der Zeitung galt.
    »Was ist denn?«
    Er schien sie nicht gehört zu haben.
    »Etwas Wichtiges?«, fragte sie.
    Er hob die grauen Augen, und bei der Art, wie er sie anschaute, begann ihre Haut zu prickeln. »Wichtig für dich, ja.«
    Sie zog eine Hand unter der Pelzdecke hervor und legte den Finger an ihr Kinn, um es vom Zittern abzuhalten. »Sag’s mir«, bat sie mit leiser Stimme.
    »Du scheinst wirklich ein unfehlbares Gefühl für den richtigen Zeitpunkt zu haben.«
    Sie wartete.
    »Hier steht«, er raschelte mit der Zeitung, »dass eine Delegation aus China in Moskau angekommen ist.«
    Sie spürte, wie ihr Herz einen Schlag aussetzte. Er hielt ihr den Aufmacher der Zeitung vor die Nase.
    »Sieh mal«, sagte er. »Da ist ein Foto. Heute Abend soll es einen Empfang für sie geben. Im Hotel Metropol. Schau doch mal, ob du irgendjemanden erkennst.«
    Sie griff nach dem Blatt und blinzelte mehrfach. Sechs verschwommene Gestalten auf einem grobkörnigen Foto. Gierig wanderten ihre Augen über jede einzelne der abgebildeten Personen hinweg, aber das Gesicht, nach dem sie suchte, war nicht dabei. Ihr Herz begann wieder zu schlagen, schleppend und schmerzhaft. Zuerst dachte sie, alle Abgebildeten seien Männer, weil sie ohne Ausnahme schwere Mützen und unförmige, gefütterte Mäntel trugen, doch als sie genauer hinschaute, sah sie, dass auch zwei Frauen dabei waren.
    »Kennst du jemanden davon?«, wollte Dmitri wissen.
    Sie wollte schon den Kopf schütteln, hielt dann aber inne. »Möglich ist es schon. Die eine da ganz am Ende.«
    »Das Mädchen?«
    »Da.« Hohe Wangenknochen, entschlossene dunkle Augen, kurz geschorenes Haar. Sie war sich sicher, dass es das Mädchen war, das sie letztes Jahr mit Chang An Lo in Tschangschu gesehen hatte. »Ich glaube, ich habe sie mal bei einem Begräbnis gesehen.«
    »Kennt sie auch diesen chinesischen Kommunisten, mit dem du versuchst, Kontakt aufzunehmen?«
    »Ja.«
    Etwas in ihrer Stimme musste seine Aufmerksamkeit geweckt haben, denn ein ernster Zug legte sich um seinen Mund, und seine Augen wurden weich. »Vielleicht zu gut?«
    Lydia wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Vielleicht zu gut.
    »Lass mich mal sehen.« Er nahm ihr die Zeitung aus der Hand und las die Namen, die unter dem Foto standen. »Tang Kuan. Ist sie das?«
    »Ja.«
    »Sie könnte also wissen, wo er sich aufhält?«
    »Ja, möglicherweise.«
    Ein Pferdefuhrwerk, das mit einem gefährlich wackeligen Stapel Fässern beladen war, kreuzte ihren Weg, und der Wagen musste abrupt bremsen.
    »Schau nicht so unglücklich.«
    »Ich würde sie das gerne heute Abend selbst fragen.«
    »Wo?«
    »Im Metropol.«
    »Nein, Lydia.«
    »Lass uns nicht wieder von vorne anfangen, Liew. Dmitri Malofejew hat mich eingeladen.«
    »Nein.«
    »Es ist meine einzige Chance herauszufinden, wo sich Chang aufhält.«
    »Nein.«
    »Ich möchte nicht mit dir streiten, Liew.«
    »Nein.«
    »Bloß indem du wieder und wieder Nein sagst, wirst du mich nicht überzeugen.«
    »Nein. Oder ich brech dir deinen knochigen Hals.«
    »Na, das ist natürlich ein noch überzeugenderes Argument.« Lydia rauschte in die Gemeinschaftsküche ab, machte einen Teller von der Kartoffel-Zwiebel-Suppe warm, die sie am Tag zuvor gekocht hatte, und kehrte mit finster verkniffenem Mund in ihr Zimmer zurück. Elena starrte aus dem Fenster, und Liew saß zusammengesunken im Stuhl und trank Wodka direkt aus der Flasche. Sie stellte den Suppenteller auf seinen Schoß.
    »Ich komme mit dir«, verkündete Popkow.
    »Nein, das kannst du natürlich nicht.«
    »Ich komme mit.«
    »Nein, sei doch nicht …«
    Fast hätte Lydia gesagt, Nein, sei nicht albern. Schau dich doch an. Aber sie verkniff es sich rechtzeitig. Was sie zum Verstummen brachte, war der Ausdruck in Liews schwarzem Auge. Aus seinem Blick sprachen Kummer und Angst, und sie wusste, dass diese Gefühle nicht ihm selbst galten.
    »Nein, Liew«, sagte sie sanft. »Das geht nicht. Malofejew kann nur für sich selbst und für mich eine Einladung ergattern. Außerdem würdest du … zu sehr auffallen. Du machst die Leute auf uns aufmerksam.«
    Popkow brummte und wandte ihr auf dem Stuhl den Rücken zu. Ende des Gesprächs. Sie war sich nicht sicher, wer gewonnen hatte.
    »Was wirst du denn anziehen?«, fragte Elena, um das Schweigen zu durchbrechen. Lydia war ihr dafür dankbar.
    »Meinen grünen Rock und die weiße Bluse, nehme ich

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