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Die Sehnsucht der Konkubine

Die Sehnsucht der Konkubine

Titel: Die Sehnsucht der Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Furnivall
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ihrer hölzernen Glieder, wenn sie sich knarrend im Wind wiegten. Es war ein Geräusch, dem er in Sibirien wohl eine Million Male gelauscht hatte, ein Geräusch, das ihm so vertraut war wie sein eigener Atem.
    »Jens.«
    »Olga«, lächelte er. »Kein Grund, nervös zu sein.«
    »Ich bin nicht nervös«, sagte sie forsch. »Es ist nur das Knirschen der Räder, das ich nicht mag, wenn sie über rauen Untergrund fahren. Wie Knochen, die brechen.«
    Olga war eine ausgezeichnete Chemikerin, kaum mehr als vierzig, doch sie sah älter aus, weil sich die Falten um ihren Mund nach acht Jahren Zwangsarbeit in einer Bleimine tief eingegraben hatten. An ihrem Körper waren kein Fett und kein Fleisch, und sie klagte jedes Mal über Magenweh, wenn sie eine Mahlzeit zu sich nahm. Hier im Gefängnis gab man ihnen anständiges Essen, Welten entfernt von dem Fraß der Arbeitslager. Stalin mästete sie, so wie ein Bauer ein Schwein mästet, nur um ihm später die Kehle durchzuschneiden, sobald es fett genug ist. Er wollte das Beste aus ihnen herausholen. Stalin wollte das Beste, was ihre Gehirne zu Stande bringen konnten.
    Der Gefängnisarzt hatte erklärt, Olgas Schmerzen seien eingebildet, und vielleicht hatte er ja Recht. Es waren Schuldgefühle, glaubte Jens, Schuldgefühle, die sie jedes Mal von innen auffraßen, wenn sie sich eine Gabel voll Essen in den Mund schob, denn ihre Tochter war immer noch da draußen in der Bleimine, wo es an der Tagesordnung war, dass Menschen durch Steinschlag zu Tode kamen.
    »Ich hasse es, in diesen Lastwagen zu steigen«, murmelte Olga.
    »Stell dir einfach vor, es wäre eine Pferdedroschke«, drängte Jens sie, »in der du durch den Arbat fährst, um im Arbatski Podval Café Tee zu trinken. Das würde bestimmt ein Lächeln auf dein Gesicht zaubern. All die Kuchen und Torten und die süßen Erdbeertörtchen und …«
    »Mhhmm«, murmelte eine junge Frau neben ihnen, »Pflaumenkuchen mit Sahne und Schokoladensauce.«
    »Annuschka, du denkst auch immer nur ans Essen«, neckte Olga.
    »Essen ist etwas Tröstliches«, gab Annuschka zu. »Und Gott weiß, dass wir alle hier Trost brauchen.«
    »Wenn du weiterhin so frisst wie ein Scheunendrescher, wirst du bald nicht mehr in den Lastwagen passen«, zog Olga sie auf.
    Das stimmte. Annuschka aß eine Menge, aber das taten die meisten von ihnen. Sie hatten viel zu lange Jahre gehungert, um auch nur einen Krümel auf einem Teller übrig zu lassen. Wie Eichhörnchen horteten sie Nüsse für den Winter, der mit Sicherheit eines Tages wiederkehren würde, wenn Stalin und Kaganowitsch und Oberst Tursenow erst einmal damit aufgehört hatten, alles Wissen aus ihnen herauszupicken. Hinter ihnen wurde jetzt der Motor des Lastwagens angelassen, ein lautes Geräusch, das an den hohen Wänden des Gefängnishofes widerhallte, und eine schwarze Abgaswolke stieg in die eisige Luft empor. Die beiden Soldaten sprangen von der Ladefläche des Lastwagens und hielten die Hintertüren auf.
    »Auf geht’s«, rief Elkin und ging auf den Lastwagen zu. Er konnte es kaum erwarten zu fahren.
    Die anderen folgten ihm in unterschiedlichem Tempo.
    »Friis, wäre besser, wenn das alles heute funktioniert«, brummte ein älterer, unrasierter Gefangener, während ihn ein junger Mechaniker auf die Ladefläche hievte.
    »Das wird es schon, alter Mann. Hab Vertrauen.«
    »Vertrauen!«, schnaubte Annuschka und stampfte mit den Füßen auf dem Kopfsteinpflaster, während sie darauf wartete, bis sie an der Reihe war. »Ich hab ganz vergessen, was das Wort überhaupt bedeutet.« Sie winkte Jens und Olga zu. »Na kommt schon, ihr wollt doch wohl nicht zurückbleiben. Heute ist unser großer Tag.«
    Olga zitterte, als sie sich den Schal fester um den Hals band, und ließ sich von Jens stützen, während sie über den eisglatten Hof gingen.
    »Mach während der Fahrt einfach die Augen zu, und denk nur an den Tag, als deine Tochter zur Welt kam«, murmelte Jens und spürte, wie sie ihm dankbar die Hand auf den Arm legte.
    Es kam nicht oft vor, dass sie zusammen waren, obwohl es sich jetzt, da sich das Projekt seiner Vollendung näherte, häufte. Die meiste Zeit über arbeiteten sie isoliert voneinander in ihren jeweiligen Werkstätten, nur durch Boten miteinander verbunden, die ihnen Durchschläge und Berichte vorbeibrachten. Wenn sie dann tatsächlich einmal zusammenkamen, war das immer ein Grund zu feiern – doch in Jens’ Augen war es das ausgerechnet heute nicht.
    Im Laderaum des Lastwagens

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