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Die Sehnsucht der Konkubine

Die Sehnsucht der Konkubine

Titel: Die Sehnsucht der Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Furnivall
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an.« Sie zuckte mit den Achseln. »Was Besseres habe ich nicht.«
    »Aber die Frauen werden alle Abendkleider tragen …«
    »Das ist egal, Elena. Ich gehe nur aus einem einzigen Grund dorthin. Um mit Kuan zu sprechen.«
    »Du wirst überhaupt nicht dorthin passen.«
    Lydia starrte auf Liews demonstrativ abgekehrten Rücken. »Ich passe sowieso nirgendwo hin.«
    Der breite Rücken wurde zum Buckel, und die Schulterblätter unter dem Mantel verschoben sich wie tektonische Platten.
    »Ich hab einen Seidenschal, den ich dir leihen kann«, bot Elena an.
    »Spassibo.«
    »Und das hier.«
    Lydia schaute zu ihr hinüber. Elena stand am Trennvorhang, hielt ihn mit einer Hand beiseite, und ihre Brust hob und senkte sich sichtbar, als falle ihr aus irgendeinem Grund das Atmen schwer. Auf der ausgestreckten Hand, die sie Lydia hinhielt, lag ein Bündel Rubelnoten.
    »Genug für einen neuen schicken Rock«, sagte sie in ganz beiläufigem Ton. »Oder kauf dir wenigstens eine anständige Bluse. Du kannst meine sabornaja knischka, meine Kleiderkarte, benutzen.«
    Lydias Blick ruhte auf dem Geld. Am liebsten hätte sie es blitzschnell an sich genommen und in ihren Geldgürtel gesteckt. Tschort , das war verführerisch. Einfach Röcke oder Blusen zu vergessen und das Geld ihrem Fluchtfonds zuzufügen. Sie schluckte schwer und sah aus dem Augenwinkel, wie sich Liew umdrehte und ebenfalls starrte. Nicht auf die Rubel. Sondern in Elenas Gesicht. Ihre Wangen waren ganz rosa angelaufen, doch ihre Lippen bildeten eine blasse, trotzige Linie.
    »Spassibo« , sagte Lydia wieder. »Elena, du bist so lieb zu mir. Ich bin dir dankbar.«
    Elena schüttelte leicht den Kopf, als wollte sie Ordnung in ihre Gedanken bringen.
    »Aber«, fuhr Lydia fort, »ich kann das nicht annehmen. Ich werde in meinem eigenen Rock und Bluse zu der Einladung gehen. Das muss genügen.«
    Elena machte einen Schritt vorwärts und knallte die Geldscheine mit solcher Wucht auf den Tisch, dass er wackelte.
    »Es ist nicht schmutzig«, fauchte sie und nahm ihren Mantel vom Haken. »Und ich auch nicht.« Sie öffnete die Tür und ließ sie hinter sich lautstark ins Schloss fallen. Ihre Schritte verhallten schnell auf dem Flur, doch in dem Zimmer war die Luft auf einmal dick und schwer zu atmen.
    »Geh hinter ihr her, Liew«, sagte Lydia mit angespannter Stimme. »Sag ihr, das hab ich nicht gemeint.«
    Schließlich einigten sie sich auf einen Kompromiss.
    Lydia war damit einverstanden, dass Liew sie bis zur Hoteltreppe begleitete. Malofejews Angebot, sie abholen zu lassen, hatte sie abgelehnt, da sie nicht wollte, dass er wusste, wo sie wohnte. Draußen war es dunkel, und als sie sich auf den Weg machten, hatte leichter Schneeregen eingesetzt. Das Metropol lag in der Nähe des Kreml.
    Den langen Weg durch die Stadt legten sie mit der Straßenbahn zurück. Lydia liebte die Tram. Für die Moskauer war sie eine Selbstverständlichkeit, aber in Lydias Augen hatte sie etwas Exotisches und Sonderbares an sich. Am liebsten wäre sie den ganzen Tag damit in der Stadt herumgefahren und hätte Leute beobachtet, hätte ihnen in die Gesichter geschaut und vielleicht herausgefunden, was es heißt, Russe zu sein.
    Sie und Liew sprangen an der Hintertür auf und bezahlten der Schaffnerin vierzehn Kopeken pro Kopf. Die Frau hatte drei Rollen mit unterschiedlich teuren Fahrkarten um den Hals hängen, die auf ihrem großen Busen hin- und herbaumelten, und als sie rief: »Weitergehen, bitte weitergehen!« sah Lydia, wie sie Popkow ungeniert zuzwinkerte. Was finden all diese Frauen nur an diesem alten Bären? Alle schlurften in den vorderen Teil der Straßenbahn. Es war kalt, und Lydia hielt sich dicht bei Liew. Sie war nervös.
    Es schien eine Ewigkeit zu dauern, dieses Rattern und Rumpeln, doch in genau dem Moment, als sie von der Straßenbahn sprang, spürte sie eine winzige Berührung an ihrer Hüfte. Der Bürgersteig war immer noch voller Arbeiter, die von Büros und Fabriken nach Hause eilten, lauter fremde, müde Gesichter in der Dunkelheit, die das gelbe Laternenlicht zu sonderbaren Fratzen verzerrte. Die meisten Leute hätten es gar nicht bemerkt und nur für eine von vielen beiläufigen Berührungen mit anderen Passanten gehalten, doch Lydia wusste ganz genau, worum es sich handelte. Ihre Hand schoss hervor und schloss sich um ein knochiges Handgelenk. Als sie herumfuhr, hing Elenas Seidenschal zwischen schmutzigen Fingern.
    »Du dreckiger Dieb!«
    Sie schnappte sich den Schal und

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