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Die Sehnsucht der Konkubine

Die Sehnsucht der Konkubine

Titel: Die Sehnsucht der Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Furnivall
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strich wie ein warmer Hauch über die Haut ihrer Schläfe.
    So standen sie da. Keine Worte. Keine Küsse. Keine Worte der Begrüßung. Sie hatten vollkommen vergessen, wo sie sich befanden. Erst als sie so lange still dagestanden hatten, dass direkt vor ihren Füßen eine Wühlmaus vorbeihuschte, hob Chang An Lo den Kopf und lächelte sie an.
    »Mein Liebes«, sagte er leise. »Du hast mir meine Seele zurückgebracht.«
    Sie küsste ihn. Atmete seinen Atem ein, kostete seine Zunge. Spürte, wie groß sein Hunger nach ihr war. Sie spürte, wie wieder Leben in ihre Haut kam, obwohl ihr bis zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst gewesen war, wie taub sie war.
    Sie gingen eng umschlungen, Hüfte an Hüfte, und spürten, wie ihre Glieder und Muskeln erst wieder lernen mussten, was es hieß, eins zu sein statt zwei. Ihr Weg führte sie über das fleckige Gras und den ausgetretenen Schnee zurück in Richtung Zirkuszelt, wo es vor Menschen nur so wimmelte.
    Noch einen Moment zuvor, als sie sich auf Changs Mantel niedergelassen hatten, an einer Stelle, wo das Sonnenlicht buttergelb durch die Bäume fiel, war ein Mann in einer Lederhose und mit vier spindeldürren Kindern vorbeigekommen, die im Gestrüpp nach Feuerholz suchten. Mithilfe seiner dunkelhäutigen Sprösslinge lud er sich das Holz auf den Rücken, wo er es mit einem Ledergurt befestigte. Aus ihren farbenfrohen Gewändern und den bunten Halstüchern schloss Lydia, dass sie zum Zirkus gehörten. Chang legte einen Finger an Lydias Lippen. Er roch sauber und frisch, und sie hatte den Knubbel vernarbten Fleisches geküsst, wo früher sein kleiner Finger gewesen war. Der Mann sah sie gar nicht, doch allein seine Anwesenheit genügte, um das Gefühl zu vertreiben, sie seien für sich, weshalb sie aufgestanden waren, Lydia ihre Mütze genommen hatte und sie widerwillig den Schutz der Bäume verlassen hatten.
    »Du siehst gut aus, Lydia. Es gefällt meinem Herzen, das zu sehen.«
    »Du siehst lebendig aus.« Sie blickte ihn von der Seite an. »Das gefällt mir zu sehen.«
    Er lächelte, jenes langsame, nach innen gerichtete Lächeln, das sie nicht vergessen hatte.
    »Wie steht es um den Krieg in China?«, fragte sie.
    »Es gibt viel zu erzählen und viel zu fragen«, sagte er, ohne ihr eine direkte Antwort zu geben. Sein Arm lag fest um sie, während sie weitergingen.
    »Die Frage zum Beispiel, wie du es geschafft hast, Teil der chinesischen Delegation zu werden.«
    »Und wie ist deine Reise quer durch die russische Steppe verlaufen?«
    »Da gibt es nicht viel zu sagen.«
    »Lydia, meine Geliebte. Ich sehe es deinen Augen an , dass etwas geschehen ist.«
    Während sie auf einem verschneiten Stück Gelände ihre Schritte verlangsamten, schauten sie sich aufmerksam ins Gesicht.
    »Und Kuan?«, fragte Lydia leise. »Ist sie Teil deiner Delegation? Oder Teil deines Lebens?«
    »Und der sowjetische Offizier mit den Wolfsaugen? Ist er auch ein Teil dieses ›nicht viel‹?«
    Sie lächelten sich an und ließen das Thema fallen. Lydia hatte gedacht, sie habe alles an ihm in Erinnerung behalten, doch sie täuschte sich. Sie hatte vergessen, wie sehr sie sich veränderte, wenn sie mit ihm zusammen war, wie das Blut träger durch ihre Adern floss und die Gedanken in ihrem Kopf langsamer wurden. Und wie sie dann mehr und mehr zu dem Menschen wurde, der sie sein wollte.
    »Keine Fragen«, sagte er.
    Sie nickte. »Später.«
    Er küsste sie aufs Haar. »Es wird ein Später geben.«
    Sie schlenderten in Richtung Zirkuszelt, ihre Bewegungen vollkommen im Einklang, doch die Tatsache, dass er sich bemüßigt gefühlt hatte, ihr zu versichern, dass es ein Später geben würde, hatte sogleich Zweifel in ihr geweckt. Ihr wurde die Kehle eng, und auf einmal musste sie gegen die Tränen ankämpfen. Was lief da schief? Sie war hier mit Chang An Lo, sein Arm lag um ihre Taille, seine Rippen hoben und senkten sich im gleichen Rhythmus wie die ihren. Das hier war alles, wonach sie sich all die Tage, all die Monate gesehnt hatte. Was also … was stimmte nicht?
    Es waren die Worte. Sie fühlten sich an wie eine Grenzlinie zwischen ihnen, als erinnerten sich ihre Körper an etwas, das ihre Zungen vergessen hatten, weil ihnen nicht mehr die Worte einfielen, die sie beide verstanden. Sie lehnte den Kopf an seine Schulter, das Ohr an die kräftige Linie seines Schlüsselbeins. Achte nicht auf seine Worte, dachte sie. Hör stattdessen auf seinen Herzschlag.
    Eine Seite des Zelts knatterte laut im Wind,

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