Die Sehnsucht der Konkubine
zitternd in seinen Armen lag, hatte er gedacht, er habe sie an den Russen mit den Wolfsaugen verloren. Er wanderte mit den Lippen zu der flachen Kuhle unterhalb ihrer Kehle und hörte ein Stöhnen, obwohl er nicht wusste, ob er es gewesen war oder sie.
Er lag auf der Seite und schaute sie an. Ihre Arme, ihr Kinn, die Narbe auf ihrer Brust. Den dichten, feuchten roten Busch zwischen ihren Beinen, das Feuer, das in ihr brannte und auf ihr loderte. Sie war schön. Nicht auf chinesische Art. Für den asiatischen Geschmack waren ihre Hände, ihre Füße und sogar ihre Knie viel zu groß, ihre Nase war zu lang, doch er liebte all das an ihr. Ihre Haut war blass und schimmerte wie Flusswasser im goldenen Licht, doch wenn er ihren flachen Bauch oder die straffen Muskeln ihres Schenkels berührte, spürte er, dass unter dieser Haut ein feines stählernes Netz lag. War das vorher auch schon dort gewesen?
Nein, es war neu.
In Tschangschu hatte Lydia eine Entschlossenheit an den Tag gelegt, die er noch nie zuvor bei einer Frau erlebt hatte, einen Mut, von dem er gedacht hatte, nur Männer könnten ihn aufbringen. Sie hatte ihm die Augen geöffnet und ihn eines Besseren belehrt. Doch diese neu erwachte innere Stärke an ihr, das war etwas ganz anderes. Ihm stockte der Atem, wenn er daran dachte. Es war eine Kraft, eine Stärke, die erst bei ihrer Reise durch Russland geschmiedet worden war, und es gab ihm einen Stich, weil er bei diesem schwierigen Unterfangen nicht an ihrer Seite gewesen war. Und so war ein Teil von ihr aus seiner Seele gestohlen worden. Als hätten die Götter in ihrer Gier beschlossen, dieses Fuchsmädchen doch für sich zu behalten, statt es ihm zu schenken.
»Lydia.«
Die Nacht verging viel zu schnell.
»Lydia, sag mir, wo dein Vater ist.«
Sie verbarg ihr Gesicht an seiner Brust und sagte nichts.
»Hast du herausgefunden, wo er sich befindet?«, beharrte Chang.
»Er ist hier«, murmelte sie.
»In Moskau?«
Sie nickte.
»Das ist eine gute Nachricht.«
Sie zuckte die Achseln, eine kleine Geste, an die er sich noch von früher erinnerte. Eine kleine, trotzige Geste. Er hatte ganz vergessen, dass es so viele kleine Bewegungen von ihr gab, die sich direkt in sein Herz stahlen.
Er streichelte ihren Rücken und wartete.
»Ich kann ihn nicht finden«, murmelte sie fast tonlos.
»Sag es mir. Erzähl mir, was du weißt.«
Er spürte, wie ein Schauder über ihre Rippen lief.
»Ich habe herausgefunden, dass er von dem Arbeitslager in Trowitsk in ein geheimes Gefängnis in Moskau verlegt wurde. Aber ich weiß nicht, wo es ist.« Sie hob den Kopf, und ihre bernsteinfarbenen Augen blickten ihn fragend an. »Warum sollten sie das tun?«
»Er war doch Ingenieur, oder?«
»Ja.«
»Vielleicht nutzen sie seine Kenntnisse, um an etwas zu arbeiten.«
»Ich dachte, die Scheißkerle hätten ihn verlegt, für …« Das Wort schien ihr im Halse stecken zu bleiben. »Für Experimente.«
Er runzelte die Stirn. »Was für Experimente?«
»Medizinische. Ich habe Gerüchte gehört, dass solche Sachen hier vorgehen, und dachte, vielleicht dient dieses geheime Gefängnis ja dafür.«
»Menschliche Versuchskaninchen?«
»Ja.«
»Oh, Lydia, glaubst du wirklich, das ist es, was mit ihm geschehen ist?«
Sie rieb ihr Gesicht an seiner Brust. »Ich weiß es nicht.«
»Lass uns glauben, dass es seine Fähigkeiten als Ingenieur sind, die sie wollen. Du hast gesagt, er sei einer der Besten gewesen.«
»Er war einer der Chefberater des Zaren, bevor … vor all dem hier.« Sie stützte ihr Kinn auf seiner Brust ab und schaute zu ihm hoch.
»Mehr weißt du nicht? Nur, dass er nach Moskau verlegt wurde?«
»Ich hab die Nummer des Gefängnisses.«
»Und wie lautet sie?«
»Nummer 1908.«
Er kniff die Augen zusammen und zog all die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten in Erwägung, die ihnen blieben, während sie die Wange auf seine nackte Brust legte und nichts sagte. Er blickte auf ihren herrlichen Haarschopf hinab. Wie konnte er es ihr sagen? Wie konnte er ihr beibringen, dass ihr Vater ihre Einmischung vielleicht gar nicht zu schätzen wusste? Und dass sie damit vielleicht sogar das Leben aufs Spiel setzen konnte, das er sich gerade aufbaute?
Lydia schlüpfte in ihr Zimmer, die Stiefel baumelten in einer Hand, weil sie auf Strumpfsocken weniger Lärm machte. Draußen schneite es, urplötzlich wirbelten dicke Flocken durch die Nachtluft. Während Chang mit ihr durch die vereisten Straßen Moskaus gegangen war, hatte
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