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Die Sehnsucht der Konkubine

Die Sehnsucht der Konkubine

Titel: Die Sehnsucht der Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Furnivall
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Malofejew, weiß von dir und deinem chinesischen Freund. Genau aus diesem Grund hat er heute auch das Essen vorbeigebracht, statt der Informationen, die du über Jens Friis haben möchtest. Er ist eifersüchtig. Er mag es nicht, wenn du mit einem anderen Mann zusammen bist, und wird deshalb auch nicht mehr so entgegenkommend sein wie bisher. Anscheinend kannst du einfach nicht beides haben, Kleines. Dein Chinese oder dein Vater. Du musst dich entscheiden.«
    Lydia erhob sich von ihren Knien. Sie gab keinen Laut von sich, sondern rollte sich einfach nur auf ihrem Bett zusammen und zog sich die feuchte Decke über den Kopf. Der Schmerz in ihrer Kehle drückte ihr die Luft ab. Sie verdrängte Elenas Worte an einen Ort in ihrem Inneren, wo es dunkel und undurchdringlich war, und ließ stattdessen all die Erinnerungen an die Stunden über sich hereinschwappen, die sie in dem Zimmer mit dem Kruzifix an der Wand verbracht hatte, griff nach den kostbaren Momenten wie nach einem Schmuckstück und hielt es ans Licht. Polierte es, bis es schimmerte und funkelte.

NEUNUNDDREISSIG

    J ens hatte das Gefühl, nicht bei der Sache zu sein. Und seine Alpträume kehrten immer häufiger wieder. Sie durchbrachen seinen normalen Schlafrhythmus, zerteilten die Nacht in mehrere Stücke. Er war ruhelos, stundenlang ging er in der Werkstatt auf und ab und war sich dessen bewusst, dass die Herausforderung, der er sich vor wenigen Monaten noch so gerne gestellt hatte, einen bitteren Beigeschmack hatte, je mehr sie sich ihrer Erfüllung näherte.
    Das war ganz anders gewesen, als er damals zu dieser Einheit gekommen war. Damals war es ein Traum gewesen, der wahr wurde. Das hier war Arbeit, richtige Arbeit, die Art von Ingenieurswesen, für die er ausgebildet worden war. Danach hatte er gelechzt, so wie ein Verdurstender nach Wasser lechzt. Im Lager war er jeden Morgen mit dem Gefühl aufgewacht, endlich gestorben zu sein. Nun jedoch lag ein ganzer Tag vor ihm, an dem er mit nichts anderem zu hantieren hatte als mit Federhaltern, Papier und Messschiebern, statt sich die Hände an eisigen Äxten und Schaufeln abzufrieren, einen verzehrenden Hunger im Bauch. Selbst jetzt noch machte er jeden Tag die Augen auf und konnte sein Glück kaum fassen.
    Im Arbeitslager war es schlimm gewesen. So weit hatte er sich das Denken immer gestattet, weiter nicht. Zwölf Jahre war es schlimm gewesen, doch jetzt war es vorüber. Er ließ den Gedanken einfach nicht mehr zu, wenigstens nicht in sein bewusstes Denken. Trotzdem machte er sich nichts vor. Er wusste, dass die Erinnerung daran irgendwo in seinem Inneren lauerte, sich in den dunkelsten Abgründen seiner Seele versteckte und nur bei Nacht hinausstahl. Deshalb träumte er auch. Alpträume. Na und? Jene nächtlichen Heimsuchungen tat er als lästige Unannehmlichkeit ab. Wenn die Menschen ein paar unangenehme Träume schon als schlimm bezeichneten, dann waren sie bestimmt noch nicht in einem Arbeitslager gewesen.
    Seit er von der Suche seiner Tochter erfahren hatte, lenkten ihn Gedanken an Valentina und Lydia vom Arbeiten ab, sie wühlten Gefühle in ihm auf, mit denen umzugehen er schon lange verlernt hatte. Besonders jetzt, da es Olga gab. Er blieb stehen. Hier in diesem sicheren und behaglichen Hafen hatte er manche Dinge wiederentdeckt. Dinge, die ihm wichtig waren. Arbeit. Wärme. Essen. Und Liebe? Ja, sogar das. Eine bestimmte Art von Liebe, die sich deutlich von der unterschied, die er bisher gekannt hatte, aber doch Liebe. Er war davon überzeugt gewesen, diese Art von Gefühl sei für immer aus seinem Herzen verschwunden, aber dann hatte es sich wieder bei ihm eingeschlichen, durch die haarfeinen Risse in der harten Schale, die er um sich herum gebildet hatte. Er lächelte, weil er von Olga, einer Naturwissenschaftlerin, wusste, dass durch ein Lächeln bestimmte chemische Botenstoffe ins Gehirn gesandt wurden, Botenstoffe, durch die es einem wundersamerweise besser ging. Sie hatte ihm beigebracht, je mehr man lächle, desto mehr wolle man es auch. Und so übte er jeden Tag, und die Muskeln rund um seinen Mund, die ganz steif geworden waren, begannen weich zu werden und zu neuem Leben zu erwachen.
    Olga hatte ihm viel beigebracht. Nicht nur als Chemikerin, sondern als Mensch – sie hatte ihm beigebracht, wieder ein Mitglied der menschlichen Rasse zu werden. Es schmerzte ihn, dass es nichts gab, was er ihr dafür zurückgeben konnte, dass er ihr nicht helfen konnte, die schwarze Finsternis zu lindern,

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