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Die Sehnsucht der Konkubine

Die Sehnsucht der Konkubine

Titel: Die Sehnsucht der Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Furnivall
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aufs Spiel gesetzt , hatte er gesagt.
    Seine Finger strichen ihr Rückgrat entlang, um sie zu beruhigen. »Doch wie Stalin«, fuhr er fort, »ist Mao der falsche Mann an der Spitze. Er ist korrupt und wird China zum Krüppel machen, wenn er an die Macht kommt.«
    Sie ließ ihren Mund in der Kuhle unterhalb seiner Kehle liegen, spürte das Pulsieren seiner Schlagader.
    »Chang An Lo, wenn das so ist, dann musst du aufhören, für ihn zu kämpfen.«
    Er drückte sie so fest an sich, dass sie kaum mehr atmen konnte. »Ich weiß«, sagte er finster. »Aber was wird dann aus China? Und wo bleibe ich?«

DREIUNDVIERZIG

    H eute war es kalt im Gefängnis. Es kam regelmäßig vor, dass die Luft, die man ausatmete, wie eine weiße Wolke vor seinem Mund stand. Jens war sich nicht sicher, warum es so kalt sein musste. Verstand man hier nichts vom Heizen? Vielleicht. Doch er hatte den unangenehmen Verdacht, dass Oberst Tursenow es absichtlich kalt hielt, um die Gefangenen an die Kandare zu nehmen. Um in ihnen die Erinnerung an all die Winter wachzuhalten, die sie in den Wäldern, den Minen oder beim Kanalgraben zugebracht hatten. Solch ein kleiner Ansporn schärfte das Denken.
    Jens saß an seinem breiten Schreibtisch in der Werkstatt, Blaupausen vor sich ausgebreitet wie große viereckige Seen, in die er hätte springen können, um sein rasendes Hirn vor allem anderen zu verschließen. Er war stolz auf sie, ob er nun wollte oder nicht. Und ganz gewiss war er nicht bereit, sie auszuhändigen. Hinter ihnen steckten viele, viele Stunden harter, mühseliger Arbeit, denn es war ein perfekt gezeichnetes, wohl durchdachtes und nach allen Regeln der Kunst abgewägtes Stück Ingenieurskunst daraus geworden. Selbst nach all den Jahren betäubender Knechtschaft in den Wäldern von Sibirien konnte er immer noch denken. Immer noch planen.
    Und hatte immer noch Hunger auf das Leben.
    Besonders jetzt. Denn jetzt war Lydia da.
    »Aufstehen!«
    Die Tür wurde aufgerissen. Babitski, der große, schmierige Wärter, der immer schwitzte, ganz gleich, welche Temperaturen herrschten, ging in Habtachtstellung, und Jens roch förmlich seine Angst, auch wenn er sich auf der anderen Seite des Zimmers befand. Es war eine Angst, bei der sich ihm die Nackenhaare aufstellten.
    Die leitende Gruppe der Ingenieure und Wissenschaftler war aus ihren jeweiligen Werkstätten geholt und in die Versammlungshalle gepfercht worden. Dabei handelte es sich um einen schönen Raum mit hoher Decke und guten Proportionen. Zu Zeiten vor der Revolution, als in der Villa noch Adelige gelebt hatten und sie kein trostloses Gefängnis mit Gittern vor den Fenstern gewesen war, hatte dieser Raum als Speisesaal gedient, und nach wie vor stand hier der massive Mahagonitisch von früher, auf dem sich jetzt die Blaupausen und verschiedene technische Zeichnungen stapelten. Keine silbernen Kerzenleuchter mehr, keine Weinkelche aus feinem Kristall, kein leises Gemurmel und Gelächter. Funktionalität und Nutzen waren die neuen Götter Sowjetrusslands. Nun, Jens hatte nichts dagegen. Er hatte gelernt, ein pragmatischer Mensch zu sein.
    Sie standen stramm in einer Reihe, die Hände sorgfältig auf dem Rücken gefaltet, die Augen geradeaus, das Kinn auf die Brust gedrückt, und keiner redete. So, wie man es ihnen im Lager beigebracht hatte. Eine ganze Reihe von brillant ausgebildeten, intelligenten Denkern, die abgerichtet waren wie Seehunde im Zirkus. Neben ihm stieß Olga ein kaum hörbares verächtliches Schnauben von sich, und als er den Blick wieder nach vorne richtete, bemerkte er, dass sie am Saum ihres Rocks ein kleines Loch hatte.
    »Genossen.« Jetzt sprach Oberst Tursenow persönlich. »Heute haben wir euch ein paar Besucher mitgebracht.«
    Jens’ Herz machte einen Satz. Lydia? Einen törichten Moment lang dachte er, vielleicht sei ja seine Tochter gekommen, um ihn zu besuchen. Rasch schaute er auf, und sein Blick fiel direkt auf den Oberst, der von einem nervösen Babitski und einem nur unbedeutend weniger aufgeregten Poliakow flankiert wurde. Dann waren es also Besucher von Bedeutung. Und hinter ihnen standen, anstelle der rothaarigen, jungen Frau, auf die er törichterweise gehofft hatte, eine Reihe von sechs Asiaten mit harten Augen – vier Männer, zwei Frauen, obwohl es nicht ganz leicht war, sie auseinanderzuhalten, weil sie exakt gleich gekleidet waren.
    »Genossen«, sagte Oberst Tursenow wieder. Normalerweise sprach er sie nicht mit dieser proletarischen Anrede an. In

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