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Die Sehnsucht der Konkubine

Die Sehnsucht der Konkubine

Titel: Die Sehnsucht der Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Furnivall
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Augen zum Leuchten. Bestimmt bewunderte Chang sie dafür.
    Kuan legte die Handflächen aneinander und verbeugte sich höflich vor Lydia. Lydia beachtete die Geste nicht.
    »Kuan«, sagte sie in einem Ton, der fast an Unhöflichkeit grenzte. »Würdest du Chang An Lo bitte sagen, dass meine Tante krank ist und ich deshalb wegmuss.« Das war genau die Formulierung, auf die sie sich für den Fall geeinigt hatten, dass sie ihn warnen und bitten musste, von ihr wegzubleiben.
    Das Mädchen musterte sie, die schwarzen Augen bewusst ausdruckslos. Lydia fragte sich, wie viel Russisch sie überhaupt verstand.
    »Wirst du es ihm sagen?«, drängte Lydia sie.
    »Da.«
    »Danke.«
    Sie standen dort im Zwielicht, und ihre Schatten verschmolzen miteinander auf dem struppigen Gras, bis Lydia sich bewusst einen Schritt von ihr entfernte.
    »Kuan, warum hast du Chang bei der sowjetischen Polizei angeschwärzt? Du hast ihnen von dem Zimmer in der Uliza Raikow erzählt, stimmt’s?«
    Die schwarzen Augen verrieten nichts. »Ich weiß nicht, was das Wort anschwärzen bedeutet.«
    »Das ist das, was man seinen Feinden antut. Nicht seinen Freunden.«
    »Genosse Chang ist mein Freund.«
    »Dann behandele ihn auch wie einen.«
    Plötzlich kam Leben in die ausdruckslosen Augen, und der schwerfällige Körper wurde unerwartet geschmeidig und flink, als Kuan zu Lydia herumfuhr. »Lass ihn in Ruhe, fanqui .«
    Lydia kannte dieses Wort, denn in Tschangschu hatte sie es Tausende von Malen gehört. Fanqui. Ausländischer Teufel.
    Doch Kuan war noch nicht fertig. »Du brauchst ihn nicht«, sagte sie. »Es gibt so viele russische Männer, die du dir an seiner Stelle nehmen kannst. Zum Beispiel deinen sowjetischen Offizier, den mit dem fuchsroten Haar. Einen wie du. Aber lass Chang An Lo in Ruhe.« Kuan stand nahe genug, dass Lydia das winzige Zucken ihres Augenlides sehen konnte. »Gib ihn China zurück«, fauchte Kuan.
    Jens wachte auf und verspürte deutlichen Hunger. Nicht in seinem Magen. Der Hunger saß irgendwo in seinem Hirn und nagte sich durch seine Eingeweide, wobei er immer wieder kleine Stücke von ihm verschlang. Er versuchte verzweifelt, sich daran zu erinnern, wovon er geträumt hatte, doch schon jetzt schienen seine Träume ihm allmählich zu entgleiten und ließen nur den Hunger und den Hauch eines Parfüms zurück, das realer war als die feuchte Muffigkeit in seiner unterirdischen Zelle.
    Heute würde er wieder einen Brief bekommen.
    Jens rollte sich auf den Bauch, um dem schummrigen Licht der ständig brennenden Glühbirne über seinem Kopf auszuweichen, und vergrub sein Gesicht in dem schmuddeligen Kissen, das so dünn war, dass er den Lattenrost hindurchspüren konnte. Heute würde er wieder einen Brief bekommen. Von seiner Tochter.
    Allein dieses Wort – Tochter. Dotschka. Es hatte ihn verwandelt. Hatte seine Wahrnehmung verändert und einen anderen Menschen aus ihm gemacht. Doch durch sie wurde auch das, was er getan hatte und noch immer für das Projekt tat, noch schwerer zu ertragen. Er stöhnte in das Kissen. Er wünschte, Lydia würde vor ihm sitzen und er könnte ihr alles erklären. Urteile nicht zu streng, malyschka. Ein Mann, der ganz allein dasteht, mit nichts und niemandem an seiner Seite in einem unmenschlichen Brachland – das ist eine Sache. Ein solcher Mensch verhärtet sich wie eine Walnussschale, und mit der Zeit verschrumpelt der weiche Kern darin und verwittert. Doch ein Mann mit einer Tochter ist etwas ganz anderes.
    Für einen Mann mit einer Tochter gibt es eine Zukunft.
    »Gefangener Friis, bist du einer Meinung mit dem Gefangenen Elkin? Dass alles bereit ist?«
    »Ja, Genosse Oberst.«
    »Du überraschst mich.«
    »Wir haben hart gearbeitet, Genosse Oberst.«
    Die Wissenschaftler und Ingenieure des Projekts standen in Reih und Glied in Oberst Tursenows Büro, die Augen auf den zerschlissenen Teppich unter ihren Füßen gesenkt, denn sie ahnten nichts Gutes. Wenn man sie direkt ansprach, wanderte ihr Blick höchstens bis zu Tursenows Kragen mit der gereizten roten Haut hoch, nicht höher.
    »Ich rechne damit, beeindruckt zu sein«, sagte der Oberst. »Es werden Gäste da sein, militärische Beobachter höchsten Ranges. Also keine Fehler, verstanden?«
    »Ja, Oberst.«
    Tursenow schritt die Reihe ab. Die Augen hinter den Brillengläsern blickten voller Genugtuung. »Ich habe die Örtlichkeit für einen vollen Testlauf ausgewählt.«
    »Einen vollen Testlauf?« rief Elkin aus. »Ich dachte …« Plötzlich

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