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Die Sehnsucht der Konkubine

Die Sehnsucht der Konkubine

Titel: Die Sehnsucht der Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Furnivall
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dem Hof. Er war zu öffentlich, zu sichtbar. Jeder, der an einem der Fenster stand, hätte die Anwesenheit eines Fremden gemeldet, erst recht die eines chinesischen Fremden. Eigentlich hätte er heute eine Fahrradfabrik besichtigen sollen, hatte jedoch Edik mit einer Nachricht zu Biao geschickt, damit er den Russen mitteilte, er fühle sich nicht wohl. Und das stimmte auch. Er war krank. In seinem Herzen war er so krank, dass er es am liebsten hinausgespuckt hätte, dort hinaus auf den Hof und die Pflastersteine unter seinen Füßen.
    »Chang«, sagte Alexej. »Ich bin froh, dass ich einen Moment mit dir allein sprechen kann.«
    Bis jetzt hatten sie noch kein Wort miteinander gewechselt. Er drehte sich um und schaute Alexej an. Lydias Bruder wirkte groß und stattlich in seinem langen Mantel, stolz wie sein Vater, doch auch so kompliziert wie seine Schwester. Es konnte kein Zweifel daran bestehen, dass er ein mutiger, entschlossener Mann war, denn davon hatte Chang während des Brandes inmitten all des Schreckens und der Verwirrung mehr als genug gesehen. Doch andererseits spürte er an ihm auch den Kummer, den zu heilen es wahrscheinlich mehrerer Leben bedurft hätte.
    »Jeder von uns«, sagte Chang leise, »hat seine eigene Geschichte.«
    Alexej runzelte die Stirn. »Ich bin nicht hier, um über Geschichte zu sprechen.«
    »Worüber sollen wir dann sprechen?«
    »Natürlich über Lydia. Was sonst hätten wir beide denn schon zu besprechen?«
    Chang lächelte und spürte, wie ein paar Schneeflocken auf seinem Gesicht tauten. »Wir könnten über das Leben sprechen. Über den Tod. Oder über die Zukunft.« Er legte die Hände aneinander und machte eine formelle Verbeugung. »Ich möchte dir danken, Alexej Serow, dafür, dass du mir bei dem Brand das Leben gerettet hast.«
    »Du bist mir nichts schuldig. Gar nichts. Du hast meiner Schwester das Leben gerettet. Das ist genug.«
    Chang neigte den Kopf zu einer winzigen Verbeugung. Das ist genug. Es stimmte. Wäre Lydia nicht von Chang auf dem Rücken herausgetragen worden, dieser Russe hätte sie verbrennen lassen. Das wussten sie beide.
    Eine junge Frau kam eilig aus dem Gebäude in den Hof, in jeder Hand einen Eimer, und starrte die beiden Fremden mit unverhohlener Neugier an, während sie zur Wasserpumpe ging. Das einzige Geräusch war das Lachen von Lydias flachsköpfigem Streuner, der auf der anderen Seite mit dem Kosaken zusammenstand. Chang und Alexej lauschten einen Moment lang dem Gelächter, weil sie sich gewünscht hätten, es würde noch viel länger dort in der kalten Luft schweben.
    »Was Lydia angeht« sagte Alexej plötzlich.
    Chang wartete, ließ den blonden Jungen nicht aus den Augen. Er spürte, wie sehr Lydias Bruder darum ringen musste, wie er wohl beginnen sollte.
    »Das wird nicht funktionieren mit euch beiden«, sagte Alexej tonlos. »Es ist unmöglich, dass es funktioniert, die Hindernisse sind einfach zu groß. Wenn dir meine Schwester etwas bedeutet, dann wirst du sie aufgeben und Russland verlassen. Lass sie bei ihren eigenen Leuten bleiben. Um Gottes willen, begreifst du das denn nicht? Du und sie, ihr seid wie Öl und Wasser, ihr könnt euch nicht mischen.« Nun wurde seine Stimme milder, leiser, aber auch eindringlicher. »Wenn du sie liebst, Chang An Lo, wenn du sie wirklich liebst, dann lässt du sie ihr eigenes Leben führen. Mit dir wird sie immer nur eine Zukunft als Außenseiterin haben, wo auch immer sie sich befindet.«
    Ganz langsam wandte Chang den Kopf und richtete den Blick auf die dunkelgrünen Augen des Riesen. Abermals drang das Lachen des Jungen quer durch den Hof zu ihnen herüber, doch diesmal hörte es keiner von ihnen.
    »Verstehst du mich?«
    »Was Lydia und ich entscheiden, das geht dich nichts an«, sagte Chang kalt.
    »Sie ist meine Schwester, verdammt noch mal, und damit geht es mich durchaus etwas an.« Zorn flammte auf, und Chang wusste, dass er die ganze Zeit schon da gewesen war und nur auf der Lauer gelegen hatte. »Du hast Lydia über die Mauer mitgenommen. Um Gottes willen, warum hast du sie auf der Suche nach Jens in den Hangar mitgenommen? Du hast meine Schwester fast umgebracht. Wie kann ich dir jemals wieder vertrauen? Erwartest du denn, dass ich all das einfach vergebe und vergesse …«
    »Nein.« Chang spürte den Schmerz, der sich in seinen Eingeweiden drehte, schärfer als ein weißglühendes Messer. »Nein, das erwarte ich nicht. Nicht mehr, als ich mir selbst vergeben kann.«
    »Und?«, fragte

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