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Die Sehnsucht der Konkubine

Die Sehnsucht der Konkubine

Titel: Die Sehnsucht der Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Furnivall
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sie anzusehen genügte ihm schon, ihre bleichen Wangen, ihre klaren, bernsteingelben Augen. Allein das riss ihn vom Abgrund zurück.
    Sie kam ihm so zerbrechlich vor. Verängstigt. Dennoch hatte sie ihn dazu gebracht, mitten auf den verschneiten Straßen Tschangschus in Theo Willoughbys Wagen einzusteigen und ihn damit den nationalistischen Behörden in genau dem Moment vor der Nase weggeschnappt, als sie glaubten, ihn endlich gefasst zu haben. Sie hatte den Arm um ihn geschlungen, um ihn zu stützen, und ganz sicher wollte er alles andere, als im Wagen ihres Lehrers umzukippen. Dann hätte sie das Gesicht verloren.
    »Ich danke Ihnen, Sir«, hatte Lydia höflich zu dem Mann am Steuer gesagt. »Danke, dass Sie uns mitnehmen.«
    Der Schuldirektor hatte rasch einen Blick in den Rückspiegel geworfen, hatte Chang gemustert. Selbst in seinem elenden Zustand hatte Chang sofort gesehen, wie es um den Mann bestellt war. Die gelbliche Haut um den Mund. Die Augen, die nicht ganz in dieser Welt waren. Dieser Engländer rauchte bei Nacht die Pfeife der Träume, und deshalb konnte man ihm nicht vertrauen.
    »Also, was haben wir hier?«, hatte Willoughby gefragt, neugieriger, als es Chang lieb war.
    »Das ist mein Freund Chang An Lo.«
    »Ah! Der junge Rebell, von dem ich gehört habe.«
    »Er ist Kommunist und kämpft für die Freiheit.«
    »Das ist gefährlich, Lydia.«
    »Für mich nicht.«
    Nach einer kurzen Pause sagte Willoughby: »Tut mir leid.«
    »Was tut Ihnen leid?«
    »Um dich tut es mir leid, Lydia.«
    »Das braucht es nicht.«
    »Du überschreitest eine Grenze, für die deine jungen Beine zu kurz sind.«
    »Helfen Sie uns einfach. Bitte.«
    »Wie? Er sieht so aus, als wäre er fast tot.«
    »Bringen Sie uns an einen Ort, wohin die Soldaten nicht kommen werden.«
    »Wo denn, Lydia? In ein Krankenhaus?«
    »Nein, da werden sie ihn finden. Ihre Schule.«
    Der Lehrer hatte geschnaubt, als hätte er gerade einen Frosch verschluckt.
    Lydia hatte sich zu Chang gedreht, in einer Berührung, die so zart war wie der Flügel eines Schmetterlings, sein Gesicht in ihre Hände genommen, und er hatte ihren süßen, starken Atem tief in seine Lungen gezogen.
    »Stirb nicht, mein Liebling«, hatte sie geflüstert. Er spürte, wie sie zitterte.
    Er war nicht weit davon entfernt, zu seinen Ahnen zu gehen, das wusste er. Schon hörte er ihre Stimmen in seinem Ohr raunen. Nur ein falscher Schritt, und er würde weggleiten, dorthin … Er schloss die Augen, seine Lider waren so schwer wie bleierne Münzen, doch im selben Moment streifte sie mit den Lippen jedes seiner Augen.
    »Auf«, murmelte sie.
    Als er die Augen aufmachte, waren die ihren nur einen Finger breit von den seinen entfernt und schienen ihn wie mit Nadeln am Leben festzuhalten. Sie ließ es einfach nicht zu, dass er diese Welt verließ.
    »Chang An Lo, welche Farbe hat die Liebe?«
    Er wollte sprechen, fand aber keine Worte.
    »Jetzt ist er weg«, sagte der Lehrer.
    »Nein«, fauchte sie, nahm seinen Schädel zwischen ihre Hände und drückte. »Sag’s mir, sag’s mir.«
    »Es ist zu spät, Lydia«, beharrte der Lehrer, obwohl seine Stimme nicht unfreundlich war. »Du siehst doch, er ist nicht mehr da.«
    Sie beachtete ihn gar nicht, sondern lauschte nur dem seufzenden Geräusch, das Changs Lungen beim Atmen machten. »Sie hat die Farbe meiner Augen«, flüsterte sie, »meiner Lippen, meiner Haut. Es ist die Farbe meines Lebens. Wag es nicht, mich zu verlassen, Geliebter.«
    Er hatte sie nicht verlassen. Damals nicht.

ZWEIUNDZWANZIG

    K omm her, Mädchen. Ich hab eine Uhr für dich, eine gute mit …«
    » Njet , ich brauche keine Uhr.« Lydia schüttelte den Kopf und entfernte sich von dem Verkaufsstand.
    Sie mochte Straßenmärkte. All das Gerufe und Geschiebe und Geschachere. Es erinnerte sie an zuhause. Nein, dachte sie und richtete sich auf, das musst du anders sagen. Was sie meinte, war, es erinnerte sie an China, aber in China war sie nicht mehr zuhause. Blick den Tatsachen ins Auge. Ihre Mutter war tot, ihr Stiefvater war gleich nach ihrem Tod nach England zurückgekehrt, und Chang An Lo war … war wo? Wo? Wo?
    Sie schaute sich in dem bunten Treiben des Marktes um. Hier lag Gemüse direkt neben einem Haufen alter Schuhe, dort stand Eingemachtes zwischen Büchern und Brot. Sie entdeckte sogar ein altes Mikroskop, ganz aus Messing und mit allerlei Knöpfen, neben vielen bunten Strängen Seidenstickgarn. Die Händler waren zum Schutz gegen die Kälte dick

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