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Die Sehnsucht der Konkubine

Die Sehnsucht der Konkubine

Titel: Die Sehnsucht der Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Furnivall
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beschwer mich, wenn ich will.« Elena stützte die Hände in die breiten Hüften. »Glaubst du denn wirklich, wir drei, Popkow, du und ich, können in dieser Schuhschachtel zusammenleben, ohne uns an die Gurgel zu gehen?«
    Lydia schloss den Trennvorhang, der den Raum in zwei Hälften teilte, damit sie das große Bett auf der anderen Seite nicht mehr sah und wenigstens die Illusion hegen konnte, für sich zu sein.
    »Nur keine Hemmungen, Elena«, lachte sie. »Ich steck mir was in die Ohren.«
    »Dreihundert, dreihundertzwanzig, dreihundertvierzig, vierhundert, vierhundertzehn …«
    »Kleine Lydia, du kannst noch die ganze Nacht weiterzählen, aber das wird auch nichts ändern.« Popkow lehnte sich an die Fensterbank und sah ihr dabei zu, wie sie ihren Geldgürtel auf dem Bett ausleerte.
    »Vierhundertzehn Rubel«, sagte Lydia tonlos. »Das ist nicht genug.«
    »Das muss aber reichen. Es ist alles, was wir haben.«
    »Die Aufenthaltsgenehmigungen und die Lebensmittelkarten haben uns viel zu viel gekostet.«
    »Wir hatten keine andere Wahl.«
    »Ich weiß. Das sagtest du bereits.«
    »Die verlangen so viel. Auf dem Schwarzmarkt. Ich hab’s versucht, Lydia, aber …«
    »Ist nicht deine Schuld.«
    Sie schob die verbliebenen Banknoten zusammen, legte sie sorgfältig mit den Kanten aufeinander und blätterte noch einmal mit dem Daumen durch, als könnte sie sie dadurch davon überzeugen, sich zu vermehren. Ihre ständig abnehmende Barschaft war der Grund, warum sie sich selbst von den billigsten Hotels verabschiedet hatten und in eine der überfüllten Kommunalwohnungen in einer heruntergekommenen Gegend gezogen waren, doch sie konnten von Glück reden, überhaupt etwas bekommen zu haben. Sie und Elena hatten tagelang vor dem Büro des Wohnungskomitees im eisigen Wind ausgeharrt und nur deshalb eine Unterkunft zugewiesen bekommen, weil direkt vor ihnen ein Mann einen Herzanfall erlitten und zusammengebrochen war, als man ihm sagte, er bekomme die Wohnung. Jetzt schien jeder Rubel, der durch Lydias Finger ging, ein Loch in ihren Magen zu brennen, das auch ein dicker Klumpen chleb nicht zu füllen vermochte. Sie erschauderte, wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und zupfte an ihrem Kinn. Ihre Lippen waren ausgetrocknet.
    »Was ist los?«, fragte Popkow. Der Himmel hinter ihm zeigte allmählich ein anderes Grau und wechselte zu der farblosen Variante hinüber, die immer direkt vor Sonnenuntergang am Himmel auftauchte. »Was ist los?«, fragte er ein zweites Mal, als sie nicht antwortete.
    »Nichts.«
    »Sieht aber nicht nach nichts aus.«
    »Ist es aber. Aber danke der Nachfrage.«
    Er brummte, was wie ein undefinierbares Grollen aus seiner Brust kam. Sie zwang sich dazu, sich wieder auf das Zimmer zu konzentrieren, auf die vier nackten Wände. Sie waren immer noch da. Sie verschwanden nicht. Darauf konnte sie sich verlassen. Das dreistöckige Haus, dessen Fenster auf einen Innenhof blickten, musste einmal recht schmuck gewesen sein, war jedoch vor ein paar Jahren vom Wohnungskomitee übernommen worden, das den gesamten Wohnraum in lauter kleine Einheiten aufgeteilt und jedem Bewohner dann wenige Quadratmeter zugewiesen hatte. Genug für ein Bett, und, wenn man Glück hatte, einen Stuhl und einen Schrank. Doch Lydia hatte kein Glück. Sie hatte ein Bett, aber den Stuhl hatte Popkow.
    Die Räumlichkeiten zum Waschen und Kochen wurden gemeinschaftlich genutzt und lagen am Ende des Flurs, wobei es ein rotierendes System gab, das mit Adleraugen von einem Wohnungswart namens Kelinski überwacht wurde, einem Mann, der ständig in einem schlecht sitzenden Anzug durch die Flure schlich und dabei eine säuerlich tadelnde Miene zur Schau trug. Einmal hatte Lydia bereits Schwierigkeiten mit ihm bekommen, weil sie die Treppe der kommunalen Wohnung nicht ordentlich genug gewischt hatte. Zwar hatte sie sie zweimal geschrubbt, wie es den Anweisungen entsprach, doch kaum hatte sie dem Treppenhaus den Rücken gekehrt, hatte ein gelangweiltes Kind von unten einen schmutzigen Ball geschossen, und Kelinski hatte Lydia angewiesen, die ganze Arbeit noch einmal zu machen. Währenddessen hatte sich Kelinski wie ein dunkeläugiger Petrus an der Himmelspforte ganz oben auf die steile Treppenflucht gesetzt, die Ellbogen auf die Knie gestützt, ein paar tschastuschki, Spottliedchen, gesummt und Sonnenblumenkerne aus seiner Tasche gemampft. Sie war sich nicht sicher, ob er sie vor sich selbst schützen wollte oder vor anderen.
    Sie steckte

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