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Die Sehnsucht der Konkubine

Die Sehnsucht der Konkubine

Titel: Die Sehnsucht der Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Furnivall
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eingepackt und schacherten um Kopekenbeträge, als ginge es um den Gegenwert von Gold.
    Moskau war eine Entdeckung für sie gewesen. Überhaupt nicht das, was Lydia erwartet hatte. Die Bolschewisten hatten es genau richtig gemacht, fand sie. Sie hatten die Hauptstadt Sowjetrusslands von der dekadent-bourgeoisen Eleganz Leningrads – der Stadt ihrer ersten fünf Lebensjahre – wegverlegt. Stattdessen war jetzt Moskau der pulsierende Mittelpunkt des Landes. Wie eine Maschine, die niemals stillstand. Fast glaubte Lydia seine Zahnräder zu hören.
    In dem Moment, als sie aus dem Zug gestiegen war, hatte sie sich in die Stadt verliebt. Alexej hatte ihr gesagt, der Hauptstadt fehle die Anmut und Schönheit Leningrads und sie sei ein dreckiges Fabrikloch. Doch er täuschte sich. Was er versäumt hatte zu erwähnen, war, dass diese neue Hauptstadt vor Energie pulsierte. In den Straßen war ein Leuchten, ein Strahlen, eine Lebensgier, bei der sich Lydia die Nackenhaare aufstellten. Und über alldem lag der unverwechselbare Geruch nach Macht in der Luft.
    Moskau war die Zukunft. Das stand außer Frage.
    Doch war es ihre Zukunft? Noch wichtiger, war es die ihres Vaters?
    »Ich bin hier, Papa«, flüsterte sie. »Ich bin hier.«
    »Ich weiß nicht, warum du so verdammt zufrieden aussiehst.« Elena starrte Lydia verärgert an.
    »Ich hab gedacht«, sagte Lydia, während sie sich in dem schäbigen Zimmer umschaute, das sie gerade betreten hatten, »es ist gut, dass Alexej nicht dabei ist. Der fände das hier schrecklich.«
    »Ich finde es auch schrecklich.«
    »Aber es erfüllt seinen Zweck. Jetzt, da wir hier sind, können wir uns was Richtiges suchen. Jedenfalls habe ich schon Schlimmeres gesehen.« Lydia lachte. »Genauer gesagt, habe ich in Schlimmerem gewohnt. «
    »Na, dann«, brummte Elena und ließ sich auf eines der Betten fallen. Die Federn gaben ein lautes Quietschen von sich.
    »Das Zimmer ist klein, das gebe ich zu.« Lydia begann langsam auf und ab zu gehen, auf der Suche nach etwas Positivem, was sie sagen könnte. Es roch muffig, wie nach den längst enttäuschten Hoffnungen seiner Bewohner. Die Tapete war fleckig und löste sich an mehreren Stellen von der Wand. Eine der Fensterscheiben war zerbrochen, und über einem der Betten ragte ein nacktes Stromkabel aus der Wand, das in seine verschiedenen Bestandteile zerfasert war. Lydia erinnerte es an eine Schlange, der man den Kopf abgehackt hat. Sie erschauderte.
    »Die Decke ist hübsch«, sagte sie. Die Wände waren hoch und an den Kanten mit reichlich Stuck verziert. »Der Boden auch. Er mag abgewetzt sein, aber es ist solides Parkett.«
    Elena rollte angewidert mit den Augen. »Schau dir bloß die Teppiche an.«
    »Na gut, die polowiki sind ein bisschen alt. Aber was erwartest du schon in einer kommunalka ?«
    » Nitschewo« , grunzte Elena. »Nichts.«
    »Na ja, genau das haben wir ja auch. Nitschewo .«
    Das stimmte nicht ganz. Sie hatten ein Dach über dem Kopf. Das war es, worauf es Lydia ankam, während ihr das, was sich unter diesem Dach befand, nicht so wichtig war. Sie war vom Leben nicht verwöhnt worden. Als sie damals in Tschangschu mit ihrer Mutter von der Hand in den Mund gelebt hatte, hatte die Frage, ob sich in der blauen Schüssel auf dem Kaminsims die Monatsmiete befand oder nicht, darüber entschieden, ob sie etwas zu essen hatten oder nicht, ob sie schliefen oder nicht, ob sie es warm hatten oder froren. Die Unterkunft, die man ihnen hier in Moskau angewiesen hatte, lag im Sokolniki-Viertel, einer Fabrikgegend, eingequetscht zwischen einer Reifenfabrik, deren Schornsteine einen Ekel erregenden Rauch ausstießen, und einem kleinen Backsteinbau, in dem eine Familie Hundeleinen herstellte. Das Haus war in mehrere Wohnungen aufgeteilt, hatte einen Hof in der Mitte und eine kleine Bude davor, in der man ebenso seine Schuhe flicken wie Messer und Scheren schleifen lassen konnte. Sie wurde von einem Armenier geführt, der drei Goldzähne hatte. Popkow behauptete, der Mann arbeite für den Geheimdienst, doch Lydia glaubte ihm kein Wort, denn das behauptete Popkow von jedem. Und hätte das gestimmt, dachte Lydia, wäre schließlich niemand mehr zum Bespitzeln dagewesen. Sie legte den Kopf in den Nacken und schaute zur Decke hoch. Sie war stabil. Ja, die Schönheit einer solchen Decke war ein zusätzlicher Vorteil, wenn man im Bett lag, doch worauf es ankam, war, dass sie einem nicht über dem Kopf einstürzte.
    »Beklag dich nicht, Elena.«
    »Ich

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