Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Sehnsucht der Konkubine

Die Sehnsucht der Konkubine

Titel: Die Sehnsucht der Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Furnivall
Vom Netzwerk:
die Rubelrolle sorgfältig in den Geldgürtel zurück und machte den Reißverschluss zu. Der Beutel war mit Schweißflecken übersät und an einzelnen Stellen zerschlissen.
    »Dein Bruder hätte so viel Grips haben sollen, eure Barschaft zu gleichen Teilen unter euch aufzuteilen«, murrte Liew.
    »Er hat mir nicht genügend getraut.«
    Das Fenster klirrte, als ein plötzlich aufkommender Windstoß in die zerbrochene Scheibe fuhr, und draußen nahm das Tageslicht eine noch dunklere Schattierung an. Schweigen senkte sich über den Raum. Lydia schnallte sich den Geldgürtel wieder fest um die Hüfte, zog die Beine unter sich und legte sich die Bettdecke über die Schultern. Sie sah, wie ihr großer Begleiter seine zerbeulte Tabaksdose aus der Tasche zog und sich mit den geschmeidigen Bewegungen eines Mannes, der seit vielen Jahren raucht, eine Zigarette drehte. In seinen dicken Fingern sah die Zigarette winzig klein aus, als er sie sich zwischen die Lippen steckte.
    »Ist alles Zeitverschwendung«, brummte er. »Jeden Tag da vor der Kirche zu warten.«
    »Sag das nicht, Liew.«
    »Ich mein es wirklich, Lydia. Er kommt nicht.«
    »Er wird kommen.«
    »Ich möchte nicht …« Er hielt inne.
    »Was möchtest du nicht?«
    »Ich möchte nicht, dass man dir noch einmal so wehtut.« Er zündete seine Zigarette an, nahm einen Zug und betrachtete die aufglimmende Glut, damit er Lydia nicht anschauen musste.
    Lydia schluckte schwer, berührt und wütend zugleich. Verdammt noch mal, warum musste er immer an Alexej zweifeln?
    »Liew, Alexej wird kommen, das weiß ich. Morgen oder übermorgen, oder überübermorgen, aber eines Tages werde ich die Treppe der Christ-Erlöser-Kathedrale hochsteigen, und er wird dort auf mich warten …«
    »Nein. Er ist weg. Zum Teufel mit dem Scheißkerl.«
    »Sag das nicht, Liew«, wiederholte sie.
    Er stieß sich von der Fensterbank ab und schien den kleinen Raum sogleich ganz auszufüllen. Elena war in eigener Sache unterwegs, aber auch zu zweit fühlte man sich in dem Zimmer so beengt, als würden die schäbigen Wände immer näher auf einen zukommen. Lydia zog den Reißverschluss ihres Geldgürtels auf, fischte eine der Banknoten heraus und warf sie vor dem Kosaken auf das Bett.
    »Geh und kauf dir was zu trinken, Liew. Deine beschissene Laune ist nicht zum Aushalten.«
    »Warum bringt dich denn Alexejs Verschwinden so auf?«, wollte er wissen. »Ihr wart immer wie Katz und Hund. Der Mann ist ein arroganter Scheißkerl. Wir kommen ohne ihn besser zurecht.«
    Lydia warf die Decke von ihren Schultern und sprang auf, eine winzige Gestalt neben Liew. Sie schlug mit der Faust gegen seine granitharte Brust.
    »Du blöder Kosak«, schrie sie ihn an. »Das nimmst du sofort zurück.«
    »Njet.«
    »Nimm es zurück.«
    »Njet.«
    Sie starrten sich finster an.
    »Er ist mein Bruder. Begreifst du das nicht? Bist du wirklich so blind mit deinem einen Auge? Alexej bedeutet mir alles. Er ist meine ganze Familie, bis wir meinen Vater gefunden haben. Sag nie wieder, dass ich besser ohne ihn zurechtkomme, du dummer Bauerntrampel.«
    » Tschort , kleine Lydia«, sagte Popkow. »Er ist es einfach nicht wert …«
    »Mir schon.« Sie rang um Atem. »Ich bin es ihm schuldig. Alles.«
    »Red keinen Blödsinn, Mädchen. Du schuldest dem Scheißkerl gar nichts. Jetzt, da es schwierig wird, hat er dich im Stich gelassen, und vorher hat er nur über alles, was wir unternommen haben, gemäkelt.«
    »Du täuschst dich.«
    »Ha! Wo denn?«
    Ein langer Seufzer entrang sich Lydias Kehle, und sie ließ sich auf der Bettkante des zerwühlten Bettes niedersinken, die Arme fest um den dünnen Körper geschlungen. Ihre Haarmähne fiel nach vorne und bedeckte ihr Gesicht.
    »Erinnerst du dich nicht mehr?«, murmelte sie durch den feuerroten Vorhang hindurch. »Wie er den Befehl erlassen hat, der Chang An Lo das Leben gerettet hat, als er sich in den Händen der Nationalisten befand? Das war der Grund, warum Alexej aus Tschangschu wegmusste. Die Nationalisten wollten sich an ihm rächen. Er hat alles aufgegeben, um mir zu helfen. Um Chang An Lo für mich zu retten.«
    Popkow gab ein verächtliches Brummen von sich. »Trotzdem ist er ein Scheißkerl.«
    Lydia hob den Kopf. Auf einmal wurde ihr bewusst, dass das ein Kampf war, den sie nicht gewinnen konnte, und sie rang sich stattdessen ein etwas schiefes Lächeln ab. »Vielleicht hast du Recht, du alter Bär. Tut mir leid, dass ich dich angeschrien habe. Er ist ein Scheißkerl – und

Weitere Kostenlose Bücher