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Die Sehnsucht der Konkubine

Die Sehnsucht der Konkubine

Titel: Die Sehnsucht der Konkubine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Furnivall
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unangenehm berührt, und sah auf einmal jünger aus als seine etwa dreißig Jahre. »Ich war mit dem Import von Fabrikmaschinen betraut, bei dem etwas ganz schrecklich schieflief.« Seine Augen wurden schmal, und er schien sich ganz in das Malewitsch-Gemälde an der Wand zu versenken. Einiges von dessen Schwärze schien in seine grauen Augen hineinzusickern und sie in Ruß zu verwandeln. »Jemand musste für den Fehler geradestehen. Und diese Person war zufällig ich, obwohl ich …« Er unterbrach sich, wollte sich offenbar nicht beklagen.
    Lydia wechselte das Thema. »Aber jetzt bist du zurück. Und wahrscheinlich hast du von dem profitiert, was du über das Leben außerhalb von Moskau erfahren hast.«
    Er schob seine Kaffeetasse beiseite. »Wie positiv du bist, für jemanden, der so jung ist. Aber du hast Recht.« Er zog ein silbernes Zigarettenetui aus der Jacke, das Lydia mit dem beruflichen Interesse einer ehemaligen Taschendiebin beäugte. Stumm bot er ihr eine Zigarette an, doch sie schüttelte den Kopf. Er zündete sich selber eine an und fabrizierte ein paar kunstvoll gekräuselte Rauchkringel, die auf das Malewitsch-Gemälde zugeweht wurden, als wollten sie ihm etwas beweisen. »Es ist bemerkenswert«, sagte er, »was da draußen in Sibirien vor sich geht. Warst du schon dort?«
    Sie ging nicht auf seine Frage ein. »Erzähl.«
    »Man ist dabei, seine gewaltigen Weiten zu zähmen. Es gibt riesige Straßenbau- und Eisenbahnprojekte, man baut Fabriken und Minen jeglicher Art, rodet im großen Stil. Sogar komplett neue Städte werden am Reißbrett entworfen und aus dem Boden gestampft. Es ist …« Er hielt inne und suchte nach dem richtigen Wort. »Spannend.«
    Sie blinzelte. Mit diesem Wort hatte sie nicht gerechnet. »Spannend?«
    »Da.« Er ließ seine Zigarette auf dem Aschenbecher aus schwarzem Onyx liegen, als störte sie ihn in seinem Denkprozess. »Alles, wovon wir geträumt haben, seit wir vor dreizehn Jahren vor dem Winterpalast gegen die Truppen des Zaren gekämpft haben, erfüllt sich. Die kommunistischen Ideale der Gleichheit und Gerechtigkeit werden vor unseren Augen Wirklichkeit, und mir bricht es das Herz, dass Wladimir Iljitsch Lenin das alles nicht mehr erleben durfte.«
    Sie brachte es einfach nicht fertig, ihn anzuschauen. Konnte die Gläubigkeit in seinen Augen nicht ertragen. Stattdessen konzentrierte sie sich auf den schlanken Stiel ihres Glases, der so zerbrechlich und hinfällig war wie der Rücken ihres Vaters im Arbeitslager. Ein Nerv begann an ihrem Kinn zu zucken, und sie legte eine Hand darauf.
    »Genosse Malofejew …«
    »Nenn mich Dmitri.«
    »Dmitri.« Sie lächelte und schob sich eine widerspenstige Haarlocke aus dem Gesicht. Einen Moment lang wurde sie abgelenkt durch ein schick gekleidetes Paar, das auf der anderen Seite des Restaurants am Tisch saß. Beide starrten sie an. Sie wandte den Blick ab. War es ihre Kleidung? Passte sie einfach nicht in diese Umgebung?
    »Dmitri, wenn ich nach noch jemandem suchen würde, nicht nur nach dem Mitglied der Kommunistischen Partei Chinas, das ich vorher erwähnt haben, sondern nach jemandem hier in Moskau, würdest du mir helfen, diesen Menschen zu finden?«
    Er betrachtete sie aufmerksam, wanderte mit den Augen über jeden einzelnen Teil ihres Gesichts, ja sogar über ihre Kehle, als sie schluckte, und sie wusste, dass sie in genau diesem Augenblick den richtigen Stein in der Furt über den reißenden Fluss gefunden hatte.

SECHSUNDZWANZIG

    N ebel erhob sich über der Moskwa. Er streckte seine Tentakel bis über die Straße aus, waberte vor Türen und verschluckte unerwartet so manchen Menschen, der aus seiner Haustür auf die Straße trat. Schlitten glitten in die Nebelwand hinein und verschwanden.
    Alexej stand ganz still. Er verspürte kein Verlangen, sich zu bewegen. Er fühlte sich wie ein Gespenst, das kaum da war, eine einsame Gestalt, gefangen zwischen Wirklichkeit und Traum. Jedes Mal, wenn er auf den breiten Stufen Schritte hörte, die auf die Stelle zukamen, wo er stand, mit dem Rücken an die Steinsäule des Eingangs der Kathedrale gelehnt, ging sein Atem schneller vor Erwartung. Doch diesmal waren die Schritte Wirklichkeit, nicht die Ausgeburt seines erschöpften Hirns.
    Eine Frau schob sich langsam aus den weißen Schichten feuchter Luft. Als er eine Hand nach ihr ausstreckte, machte sie abrupt kehrt, und erst in diesem Moment wurde ihm bewusst, dass sie ihn für einen Bettler hielt. Die Straßen waren voller

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