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Die Sehnsucht der Krähentochter

Die Sehnsucht der Krähentochter

Titel: Die Sehnsucht der Krähentochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Becker
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schon wieder dabei, verrückt zu spielen«,
flüsterte sie. »Die Dämonen sind erwacht, nachdem sie lange geruht haben.
Kümmere dich nicht um andere, kümmere dich um dich selbst, mein Kind. Und um
deinen Mann.« Sie wühlte unter den Stoffen, die sie am Leib trug, und streckte
plötzlich eine tote Krähe in die Höhe.
    Bernina ließ sich durch
so etwas schon lange nicht mehr überraschen. Schweigend sah sie zu, wie ihre
Mutter den steifen Vogelkörper eingehend betrachtete und ihn schließlich vor
dem Kamin ablegte.
    »Wo ist Anselmo?«,
fragte die Krähenfrau, ohne den Blick von der Krähe zu lösen.
    Bernina presste kurz die
Lippen aufeinander. »Er hat auf den Feldern zu tun. Und da ist immer noch ein
Zaun auszubessern.«
    »Die Felder? Ein Zaun?
Gib lieber zu, dass etwas nicht stimmt. Und dass du nicht darüber sprechen
willst.«
    »Selbst wenn du
wochenlang fort bist, weißt du immer, was los ist, oder?«
    »Mein Kind, ich weiß
eben nicht, was los ist, und das gefällt mir überhaupt nicht.«
    »Ich weiß es selbst
nicht.« Ratlos hob Bernina die Schultern. »Lass mir noch ein wenig Zeit, bevor
ich es dir erzähle. Ich muss es erst einmal selbst verdauen.«
    »Sieh dir nur diesen
toten Vogel an«, meinte die Krähenfrau nach einer Weile. Abermals lag ihr Blick
fasziniert auf der Krähe, als hätte sie nie zuvor eine gesehen. »Wie schwarz
das Gefieder ist. Schwarz mit einer blauen Tönung. Makellos wie der
Nachthimmel. Solche Krähen sind selten. Blaue Krähen.«
    »Mutter«, erwiderte
Bernina mit leisem Unmut. »Der Vogel ist nicht blau. Es gibt keine blauen
Krähen.« Unwillig musterte auch sie noch einmal den Vogel. Für einen
sonderbaren Moment war es, als würden die gebrochenen Augen, rund und dunkel,
zurückstarren.
    »Es gibt blaue Krähen«,
beharrte die Krähenfrau in der ihr eigenen Art. »Und ob es die gibt!« Sie
lachte auf, und ihre Stimme verfiel in diesen leisen, rauen, düsteren Klang,
der Fremden kalte Schauer über den Rücken treiben konnte. »In meinem Leben bin
ich schon auf allerlei totes Getier gestoßen. Aber nie auf Krähen. Krähen
fühlen, wenn der Tod nach ihnen greift, und dann ziehen sie sich zurück zum
Sterben. Sie sterben einsam, ganz im Verborgenen. Wie Wölfe.«
    Bernina blickte noch
immer auf den Vogel. Sie sagte kein Wort, aber es war nicht einfach, sich der
unheilvollen Stimme ihrer Mutter zu entziehen.
    »Glaub mir, Bernina«,
setzte die Krähenfrau hinzu. »Diese blaue Krähe ist ein Zeichen. Und zwar kein
gutes.« Sie schloss die Augen und ihre Stimme wurde noch leiser. »Diese Krähe
macht mir noch mehr Angst als alles, was in Teichdorf ohnehin schon passiert
ist. Sie spricht mit mir, ich höre sie gut. Sie sagt mir, dass der Schrecken
längst noch nicht vorüber ist. Dass das Böse umgeht und dass es immer stärker,
immer mächtiger wird.«
    Kurz erinnerte sich
Bernina an den Gedanken, der ihr während des Festes auf dem Kirchplatz gekommen
war: Das ist nur der Anfang.
    Nach einem längeren
nachdenklichen Innehalten flüsterte ihre Mutter: »Ich habe einen Traum gehabt.
Einen sehr starken Traum.«
    »Du hast immer sehr
starke Träume«, betonte Bernina mit einem Lächeln.
    Doch ihre Mutter ging
nicht auf die Bemerkung ein. »Dieser Traum.« Sie seufzte. »Er macht mir Sorgen.
Ich habe ganz klar und deutlich gesehen, wie du in Gefahr warst.«
    »In
Gefahr?«
    »Du
warst in der Falle. Männer kamen auf dich zu, bewaffnete Männer, die dir Böses
antun wollten. Sie näherten sich dir, und in ihren Augen war Lüsternheit und
Rohheit.«
    »Ich
nehme an, sie trugen rote Umhänge«, bemerkte Bernina trocken.
    »Das habe ich nicht
gesehen. Alles war so dunkel, dunkel wie die Hölle. Ich sah nur die Angst in
deinem Blick, die Verzweiflung. Und dann geschah etwas Verrücktes.«
    »Und was?«, wollte
Bernina wissen, nun doch auf einmal mit Neugier.
    »Ich weiß nicht, wie ich
es beschreiben soll, aber dein Kleid veränderte sich plötzlich. Es verwandelte
sich. In irgendetwas, das ich nicht erkennen konnte. Und aus deinem Gesicht
sprossen Haare. Dir ist tatsächlich ein Bart gewachsen. Ich sah es! Und die
Furcht verschwand aus deinen Augen. Du standest da, stolz und groß, und in
deiner Hand lag ein Degen.«
    »Und dann?«
    »Dann verschwamm alles
vor meinen Augen.«
    »Du und deine Träume.«
    »Es war mehr als ein
Traum«, beharrte die Krähenfrau mit tiefster Überzeugung.
    Das
plötzliche Trommeln beschlagener Hufe ließ sie beide aufblicken. Wie viele
Pferde es sein

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