Die Sehnsucht der Nacht: Erzählungen (German Edition)
und legte ihre Rechte auf seine Schulter, sodass sie nun alle körperlich verbunden waren. Joie öffnete Traian sofort ihr Bewusstsein, erfüllte ihn mit ihrer Kraft und Energie und teilte großzügig alles, was sie hatte, und alles, was sie war, mit ihm. Er spürte ihre Solidarität, diese Verbindung, die ihr erlaubte, ihm zu vertrauen, ohne ihn wirklich zu kennen. Dabei war sie sonst immer sehr vorsichtig mit engen Beziehungen. Und durch Joie spendeten ihre Geschwister genauso großzügig, was sie zu geben hatten, und erhöhten Traians Macht dadurch enorm.
Ein von Zorn und Hass erfüllter Schrei schallte durch den Tunnel, und das Geräusch verstärkte sich und wurde immer lauter, bis das Eis über ihren Köpfen zersprang und spinnennetzartige Risse in den Wänden entstanden.
Traian begann mit leiser Stimme zu singen, und bewegte die Hände in einem flinken Muster, dem die drei Geschwister nicht ganz folgen konnten, weil die Bewegungen durch ihre unglaubliche Schnelligkeit verschwammen. Aber das unheilvolle Geräusch von zerberstendem Eis über ihnen wurde laut genug, um Donnergrollen zu ähneln. Ein strahlenkranzartiges Muster, das sich schnell nach außen hin erweiterte, durchzog das Eis. Am Eingang der Röhre fiel es bereits in großen Brocken herab, und einige kamen auch durch die Röhre auf sie zugeschossen.
»Weg hier!«, schrie Traian, worauf sich alle augenblicklich in Bewegung setzten und auf den linken Eingang zurannten.
Das Geräusch hinter ihnen verstärkte sich, wurde zu einem regelrechten Brüllen und endete in einem Donnerschlag, als die Eisröhre in sich zusammenfiel. Die Erde erbebte unter ihren Füßen, und das immer stärker werdende Rumpeln, das von den Wänden und der Decke ausging, umgab sie mittlerweile schon von allen Seiten. Jubal griff nach Gabrielles Hand, als sie Traian und Joie in wilder Hast durch den schmalen Tunnel folgten. Scharfe Eiszapfen fielen von der Decke. Die vier rannten durch den Gang, und mehrmals musste Traian beim Laufen die Richtung einiger dieser tödlichen Speere ändern.
Das Krachen des hinter ihnen einstürzenden Eises in den Ohren, rannten sie durch den kurvenreichen dunklen Tunnel. Einmal verhielt Traian so abrupt den Schritt, dass Joie mit ihm zusammenstieß. Er griff ihr unter die Arme, um sie zu stützen, und zog sie beschützend an sich. »Ich hatte dich gewarnt hierherzukommen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich deine Geschwister lebend hier herausbekomme. Es gibt etwas in dieser Höhle, das die Vampire unbedingt finden wollen. Und dieses Etwas wollen die Magier mit aller Macht beschützen.«
Sie befanden sich am Rand eines Abgrunds. Eine gefährlich schmale, aus Eis und Stein bestehende Brücke war der einzige Weg, der hinüberführte. Sie sah an einigen Stellen sehr zerbrechlich aus und hatte überdies ein gut sichtbares Loch in einem Bereich, unter dem ein tiefer, dunkler Abgrund gähnte. Jubal und Gabrielle verhielten genauso abrupt den Schritt und starrten voller Entsetzen auf den schmalen Streifen Eis.
»Das ist nichts Natürliches«, bemerkte Jubal. »Wer – oder sollte ich lieber fragen, was – könnte so etwas hervorgebracht haben? Können wir sie überqueren?«
Traian betrachtete die Brücke argwöhnisch und schüttelte den Kopf. »Ich befürchte, dass dieser Übergang eine tödliche Falle ist. Ein Magier hat sie gestellt.«
Gabrielle schob ihre Hand in die ihrer Schwester. »Ich habe Angst, Joie, und werde das schreckliche Gefühl nicht los, dass wir hier alle sterben werden.«
»Es sind die Vampire, die Angst und Bilder vom Tod aussenden, um eure natürliche Furcht noch zu verstärken«, erklärte Traian. »Sie haben diese Höhlen wochenlang nach irgendetwas abgesucht. Das Netzwerk ist sehr groß und, wie ihr sehen könnt, nicht auf ganz natürliche Weise entstanden. Ich bin hiergeblieben, um herauszufinden, wonach sie suchten. Vampire investieren normalerweise nicht so viel Energie in ein Projekt. Und was immer sie auch suchen mögen – es zu finden wird weder der karpatianischen Rasse noch der menschlichen zugute kommen.«
»Diese Monster brauchen uns keine Angst zu machen«, bemerkte Gabrielle in einem Ton, der Traian an Joies trockenen Humor erinnerte. »Das schaffe ich auch ganz gut allein.«
Jubal deutete mit einer Kopfbewegung auf die noch offenen Wunden an der Brust des Karpatianers. »Du hast dir bestimmt schon einige Gefechte mit ihnen geliefert.«
Traian nickte. »Ja, und dabei habe ich gravierende Veränderungen in ihrem
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