Die Sehnsucht der Nacht: Erzählungen (German Edition)
und er grub die Krallen in den Boden, als er sich davon abzuhalten versuchte, dem Ruf zu folgen.
Trotz Traians faszinierender Augen und seiner hypnotisierenden Stimme war es für Joie nahezu unmöglich, das Drama zu ignorieren, das sich in den wabernden Nebelschwaden der Höhle abspielte. Die hartnäckigen Stimmen schwollen zu einer Art rhythmischem Gesang an und zogen den Vampir unerbittlich auf das glühende Kristall zu. Gier und Furcht standen der Kreatur ins Gesicht geschrieben, als sie widerstrebend immer näher kroch. Und die ganze Zeit über sah der dunkle Schatten des Kriegers und Wächters des Magierschatzes mit ungerührter Miene zu.
Ein Erschaudern durchlief Joie. Ihre Furcht war wie ein lebendiges Wesen, das sie fast erstickte. Manchmal konnte sie durch den vom Boden aufsteigenden Dunst eine Rüstung an dem Krieger sehen; bei anderen Malen war er so substanzlos wie die Wolken.
Traian nahm Joie in die Arme und drückte sie ganz fest an seine Brust. Seine Bewegungen waren sehr langsam und vorsichtig, um nicht die Aufmerksamkeit des Schattenkriegers zu erregen. Wir werden jetzt zur Decke über uns hinaufschweben, Joie. Hör nicht auf, mich anzusehen!
Sie hatte Angst. Sich mit menschlichen Gegnern zu befassen, war eine Sache, aber mit Vampiren und aus Rauch und Schatten bestehenden Kriegern konfrontiert zu werden, eine völlig andere. Joie strich über Traians Brust, deren Stärke sie als ungemein beruhigend empfand, verschränkte die Hände in seinem Nacken und drückte sich, so fest sie konnte, an ihn. Sein maskuliner Körper war hart wie eine Eiche, die ausgeprägten Muskeln unter der Haut erinnerten an Stahl. Als sie spürte, wie ihre Füße sich vom Boden lösten, schloss sie die Augen und schickte ein schnelles Stoßgebet gen Himmel.
Traian beobachtete den Krieger. Farbige Lichter durchfluteten die Höhle und erhellten den Nebel, sodass sich gespenstisch anmutende Kreaturen darin zu bewegen schienen – Geister der vor so langer Zeit verschwundenen Magier. Er schloss die Arme noch fester um Joie und dachte, wie großartig sie zusammenpassten, wie mühelos sie mit seinem Geist verschmolz und Wissen daraus bezog und Taktiken studierte. Er konnte sie in seinem Bewusstsein spüren, wo sie seine Erinnerungen durchforstete und Informationen über seine Kämpfe mit Vampiren sammelte, um bereit zu sein, ihn, falls nötig, zu unterstützen.
Mehr als alles andere jedoch wollte er, dass sie ihn als Mann kennenlernte. Er wollte Zeit mit ihr, wollte sie lachen hören und Wärme und Akzeptanz in ihren Augen sehen, wie er es sich bei ihren telepathischen Gesprächen auf große Entfernung vorgestellt hatte. Und er wollte sie außer Gefahr bringen. Hier konnte von einem Moment zum anderen alles schiefgehen, und deshalb konzentrierte er sich einzig und allein darauf, sie in Sicherheit zu bringen.
Sie stiegen noch höher in der Höhle, und Traian verschleierte ihr Bild mit noch mehr Rauch und Nebel, sodass sie ein Teil des Dunstes zu sein schienen. Er achtete auch darauf, dass ihre Bewegungen langsam, träge und so natürlich wie nur möglich waren, damit nichts die Instinkte des Kriegers wecken würde.
Die schattenhafte Kreatur blieb völlig regungslos, obwohl der Rauch, aus dem sie bestand, sie in dunklen Schwaden umwirbelte. Die grimmigen Augen blieben auf den Vampir gerichtet, der auf die in allen Farben pulsierende Kristallkugel zukroch. Shafe näherte sich immer mehr der Kugel, die ihn mit Bildern und Verheißungen von Macht und Reichtum lockte.
Schließlich legte er triumphierend die Hände um das Glas – und kaum berührte er die Kugel, warf der Schattenkrieger den Kopf zurück und brüllte auf. Für einen kurzen Augenblick lichtete sich der Rauch um ihn, und der Hüter des Schatzes stand hoch aufgerichtet und stolz in seiner glitzernden Rüstung da, die mit Metallschuppen in allen Farbtönen besetzt war. Und dann war er wieder nur Rauch und bewegte sich durch die weitläufige Kaverne, ohne den Boden zu berühren.
Valenteen, der ältere und mächtigere Vampir, erhob sich triefend aus dem schwarzen Sumpf und verwandelte sich in ein schlangenähnliches Wesen mit einem Kopf wie ein Bohrer. Diese merkwürdige Kreatur schlängelte sich zur nächstgelegenen Wand und bohrte sich langsam durch das Eis. Joie verrenkte sich fast den Hals, um einen Blick nach unten zu werfen, als der Schattenkrieger den Untoten erreichte, der gierig die Kristallkugel zwischen den Händen hielt.
Dein Licht – stell es ab!
Joies
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