Die Sehnsucht der Smaragdlilie
etwas Eigenartiges. Die Pfeile auf den gespannten Bogen waren alle stumpf. Und dass sein Bankett von Dieben überfallen wurde, schien König Henry ungewöhnlich wenig zu bekümmern. Tatsächlich lächelte er breit.
Marguerite ließ langsam ihren Rock los. War das vielleicht die englische Art, Scherze zu treiben? Sie fand es überhaupt nicht komisch, doch die Engländer in der Gruppe waren offenbar nicht sonderlich beunruhigt. Zweifellos hatte der König solche Schauspiele schon zuvor veranstaltet.
„Was ist der Preis, damit ihr uns in Ruhe lasst?“, fragte der König einen der „Gesetzlosen“. „Denn wie du siehst, sind wir heute nichts als eine unbewaffnete Gesellschaft von Feiernden.“
„Wir fordern Wein“, antwortete der Gesetzlose. „Und einen Tanz mit der hübschesten Dame unter Euch.“
„Du verlangst viel“, erwiderte König Henry gespielt mürrisch. Was für ein schrecklich schlechter Schauspieler er doch ist, dachte Marguerite. Was für ein Malheur für einen König, der doch selten sein wahres Gesicht zeigen durfte. „Doch um unsere Leben zu retten, präsentiere ich dir hier die hübscheste Dame.“
Henry ergriff die Hand seiner Tanzpartnerin und übergab Anne mit großer Geste dem Anführer der Gesetzlosen, der dem König mit einer tiefen Verbeugung antwortete. Die übrigen Männer in Grün schwärmten aus, um sich über die Reste des Festessens herzumachen und die anderen Damen zum Tanz zu bitten. Die Musiker beeilten sich, ein neues Lied anzustimmen, und schon ging das Treiben weiter, als habe es keine unliebsame Unterbrechung gegeben.
Marguerite nutzte das Durcheinander, um sich davonzuschleichen. Vom Wein und von dem dummen Spaß war ihr ganz schwindlig zumute.
Sie warf einen Blick über die Schulter und bemerkte, dass auch Nikolai etwas abseits des lauten Treibens stand und ihr nachsah. Sie machte eine rasche Handbewegung, die bedeutete „Folge mir“, und verschwand dann in dem schattigen Wald.
Je tiefer sie vordrang, desto stiller wurde es. Der Lärm der Festlichkeit verklang, bis nur noch das Knacken des Unterholzes unter ihren Schritten zu hören war. Alles um sie herum war grau und kalt, beruhigend und einsam.
Sie nahm ihren Hut mit dem schmalen Rand ab, befreite ihr Haar von dem seidenen Haarnetz und schüttelte die Locken, bis sie ihr frei über den Rücken fielen. Sie wandte ihr Gesicht den schwachen Sonnenstrahlen zu.
„Hast du keine Lust, mit einem Gesetzlosen zu tanzen?“ Nikolai war ihr tatsächlich gefolgt.
Marguerite lachte, ohne sich von dem kostbaren Licht abzuwenden. Sie spürte, wie er die Arme von hinten um sie schloss und sie an sich zog. Leicht strich er mit den Lippen über ihren Hals, und sie schmiegte sich an ihn.
„Ich würde lieber mit dir tanzen“, flüsterte sie. „Doch du hast mich nicht aufgefordert.“
„Tilney kam mir zuvor.“
„Und du warst zu sehr mit Señorita Alva beschäftigt. Den ganzen Tag bist du ihr nicht von der Seite gewichen.“
Nikolai lachte leise. „Bist du eifersüchtig, dorogaja? “
„Natürlich bin ich das.“ Sie drehte sich herum und schlang ihm fest die Arme um den Hals. Belustigt blickte er sie an. „Sie ist sehr hübsch, sehr – süß.“
„Marguerite. Weißt du denn nicht, dass ich niemanden sonst sehe, wenn du in meiner Nähe bist? Du gleichst keiner Frau, keinem Menschen, den ich je gekannt habe.“
„Wirklich?“ Und doch dachte auch sie genau das Gleiche von ihm. Niemand war so wie er.
„Wirklich. Keine andere Frau könnte den Degen führen wie du, reiten wie du, tanzen wie du …“
„Lieben wie ich?“
Er lachte. „Das ganz gewiss nicht. Du treibst mich in den Wahnsinn, doch ich kann nicht von dir lassen.“
„Vielleicht sind wir beide in einem Zauber gefangen, in irgendeinem Hexenfluch.“
„Wie heißt das Gegenmittel?“
Marguerite zuckte die Achseln. „Wenn ich es nur wüsste.“
„Du meinst, du hast keinen Gegenzauber in deiner Zaubertruhe, Wedma ? Keinen Zaubertrank, den wir trinken könnten, damit wir voneinander loskommen?“
„Wir werden früh genug voneinander loskommen“, flüsterte Marguerite. Es tat immer so weh, an den Abschied zu denken, zu denken, dass sie Nikolai nie wiedersehen würde. Entschlossen verdrängte sie den Schmerz, stellte sich auf die Zehen und küsste ihn.
Wie süß sein Kuss schmeckte! Und er machte süchtiger als Wein. Sie hielt Nikolai fest umklammert, und ihr Körper schien mit dem seinen zu verschmelzen. Wie gut sie jetzt jeden Zoll von ihm
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