Die Sehnsucht des Dämons (German Edition)
ehemalige Jobs, ihre Hingabe für Yoga, die Autos, die sie gefahren hatte, wer ihre Freunde gewesen waren. Doch nirgends in seinem Bericht fand sich etwas, das Julian wirklich interessierte. Tausend Fragen blieben unbeantwortet. Wer war der erste Junge, den sie geküsst hatte? Wie viele Herzen hatte sie gebrochen? Hatte jemand ihr Herz gebrochen? Hatte sie die wahre Liebe kennengelernt?
Aber diese Fragen konnte er wohl kaum Harry stellen.
Sein Bericht erzählte von einem ungelebten Leben, einem Leben, das von klein auf dem Dienst am Nächsten gewidmet war. In Serenas Menschenleben war kein Platz für die typischen Leidenschaften, Wünsche, Freuden und Fehler eines Menschen gewesen.
„Wie lächerlich“, kommentierte Julian laut. Und dennoch löste all dies eine starke Sehnsucht in ihm nach ihr aus. Auch Harry schien ihr Schicksal nicht unberührt zu lassen, er wirkte nachdenklich, während er die einzelnen Seiten durchging. Es gab nichts mehr dazu zu sagen, aber Julian sah, wie Harry versuchte, einen Sinn in das eben Vorgetragene zu bringen. Er denkt an seine eigenen Kinder, dachte Julian, als er ihn ansah.
„Danke, Harry. Das ist im Moment alles.“
Nachdem Harry die Tür hinter sich geschlossen hatte, blieb Julian still zurück. Es fühlte sich an, als sei jemand gestorben, als müsste er um Serena trauern. Dieses Mädchen war ein unbeschriebenes Blatt. Die Beschreibung ihres Lebens war so fade, dass Serena verzichtbar schien. Doch seit er ihr zum ersten Mal in die Augen geschaut hatte, wusste Julian so viel mehr über sie. Ihre hartnäckige Loyalität Nick gegenüber. Ihr feuriger Mut, mit dem sie sich einem Dämon entgegengestellt hatte, der so viel stärker war als sie selbst. Und dieses Verlangen in ihrem Blick … das Verlangen zu wissen. Zu fühlen. Zu existieren.
Nein, Serena war keine Frau, die man beweinen musste. Auch wenn ihr Menschenleben geendet hatte, war sie nicht verschwunden. Sie war immer noch sehr existent auf Erden.
Und hier auf Erden würde er auch zu ihren unentdeckten Begierden vordringen. Er musste herausfinden, was sie am liebsten lernen, erfahren, sein wollte. Er würde sie mit all dem versorgen, das sie in ihrem kurzen Menschenleben verpasst hatte.
Er musste nur einen Weg zu ihr finden.
Vielleicht konnte er sie mit materiellen Dingen locken. Also schickte er ihr alles, was bei Frauen normalerweise gut ankam: Blumen, Schokolade, Parfüm, ein Tierbaby, Schmuck, eine romantische Reise … Aber bis zum Ende der Woche hatte sie alle seine Geschenke zurückgeschickt, und Julian wusste, er musste eine andere Taktik anwenden. Die Familie war auch immer ein guter Ansatzpunkt, jemanden zu knacken – wie Julian immer wieder festgestellt hatte, zuletzt bei Harry. Wenigstens hatte die Kompanie Serena nicht allzu weit weg von ihrer Familie eingesetzt, sodass sie aus sicherer Distanz über sie wachen konnte. Diese Tatsache würde Julian zu seinem Vorteil zu nutzen wissen.
Vielleicht sollte er mit dem Bruder anfangen.
Am Freitagnachmittag stattete Julian Andrew St. Clairs Fotogalerie einen Besuch ab. Sie befand sich in dem ruhigen Küstenstädtchen Carmel und war in einem großen, lagerhausähnlichen Gebäude untergebracht. An den nackten Betonwänden hingen überwiegend Porträtaufnahmen. Einige der Personen auf den Fotos erkannte Julian, andere nicht. Berühmt oder nicht, alle Personen waren liebevoll in Szene gesetzt worden, vom wachsamen Auge eines wahren Künstlers.
Nur eine einzige Person war noch liebevoller in Szene gesetzt worden als alle anderen. Es gab einen Bereich, der ausschließlich Serena gewidmet war. Ein halbes Dutzend Bilder von ihr hingen dort, die sie in verschiedenen Altersstufen und an verschiedenen Orten zeigten. Sie war sogar ein schönes Baby gewesen. Schon damals strahlten ihre blauen Augen so intensiv.
„Wer ist das?“, fragte Julian in beiläufigem Ton.
Andrew stellte sich neben ihn und steckte die Hände in die Hosentaschen. Julian bemerkte die Ähnlichkeit zwischen den Geschwistern sofort. Andrews Haar war nur eine Schattierung dunkler als das seiner Schwester, und sie hatten dieselben Augen. „Das ist meine Schwester Serena.“
„Ist sie ein Model? Oder Schauspielerin?“
„Als sie jünger war, hat sie mal gemodelt. Ein Scout hat sie auf der Highschool entdeckt, aber sie war nie wirklich interessiert daran.“
„Wirklich? Wieso nicht?“, wollte Julian wissen.
Andrew zuckte die Schultern. „Serena hatte immer den Kopf in den Wolken. Ging
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