Die Seidenbaronin (German Edition)
besondere Aufmerksamkeit zukommen lässt, da wir die Stoffe zur Kaiserkrönung liefern?»
In Gedanken machte Paulina drei Kreuzeszeichen. Ihr Korrespondent hatte am Tag zuvor die Ankunft der ersten Lieferung bestätigt. Er habe sich persönlich vergewissert, dass der Senat darüber informiert worden sei, hatte Marceau geschrieben. Die Nachricht sei von Paulinas Befürwortern im Senat mit großem Beifall aufgenommen worden.
Mittlerweile lief die Produktion auf Hochtouren. Terbrüggen hatte Paulinas Angebot dann doch überraschend schnell angenommen. Seine Unterstützung hatte sich als wahrer Glücksfall erwiesen, und Paulina hatte ihre Bedenken gegen ihn beiseitegewischt. Der Auftrag für die Samtmäntel musste zur Zufriedenheit des Senats abgewickelt werden – alles andere war zweitrangig.
«Der Kaiser!», unterbrach ein Aufschrei von Catherine Paulinas Gedanken.
Arm in Arm mit Bürgermeister von der Leyen schritt Napoleon die Straße entlang, eskortiert von seinen Grenadieren, die die begeisterte Menge in Schach hielten, und gefolgt von seinen Beamten und der Crefelder Abordnung.
Als die Gruppe zum Palais Ostry kam, hob Napoleon den Kopf und richtete seinen Blick auf die Fenster, in denen die Familie von Ostry und ihre Gäste standen. Er blieb stehen und sagte etwas zu von der Leyen. Der Bürgermeister zögerte und sah sich unschlüssig zu seiner Abordnung um. Ein Herr aus dem Gefolge des Kaisers kam nach vorne und redete wild gestikulierend auf Napoleon ein. Dieser drehte sich um und winkte Pierre von Ostry herbei. Die Crefelder staunten nicht schlecht, als der Kaiser an der Seite Pierres auf das Palais Ostry zuging.
«Er kommt zu uns!» Die Damen im Haus brachen in Hysterie aus.
«Wir sind gar nicht darauf vorbereitet!», jammerte Frau von Ostry und schlug verzweifelt die Hände über dem Kopf zusammen.
Im nächsten Moment stürzte ein Diener ins Zimmer und lief auf Paulina zu. «Gnädige Frau! Sie sollen sofort kommen! Der Kaiser wünscht, von Ihnen empfangen zu werden.»
Während Catherine vor Aufregung fast ohnmächtig wurde und die Kinder außer Rand und Band gerieten, folgte Paulina mit stoischer Ruhe dem Diener. Pierre hatte den Kaiser in den ehemaligen Salon seines Vaters geführt, in dem auch der Volksrepräsentant Longeaux residiert hatte. Als Paulina den Raum betrat, betrachtete Napoleon gerade die Familienporträts an den Wänden.
«Meine Vorfahren stammen aus den Cevennen», erklärte Pierre.
«Eine wilde, raue Gegend», bemerkte der Kaiser. «Von der Ungeschliffenheit dieses Landstrichs ist bei Ihnen nicht viel übrig geblieben, mein lieber von Ostry.» Er drehte sich zu Paulina um, deren Ankunft er trotz seines Studiums der Gemälde bemerkt zu haben schien. «An Ihrer Gattin dafür umso mehr.»
Paulina versank in eine tiefe Referenz. Der Kaiser kam langsam auf sie zu. «Sollte es sein, dass Sie etwas fügsamer geworden sind, Madame?»
Paulina richtete sich auf und blickte ihn herausfordernd an. «Ich bemühe mich, Majestät.»
«Warum kann ich Ihnen das nicht so recht abnehmen?» Ein feines Lächeln glitt über seinen Mund. «Wollen Sie mir nun die Ehre erweisen, mir Ihre Manufaktur zu zeigen, Madame?»
Unter den neidischen Augen der Crefelder Würdenträger führte Paulina den Kaiser durch das Geschäftshaus der von Ostrys. Napoleon stellte kluge Fragen zur Produktion, die sie ihm bereitwillig beantwortete. Er hatte sich eingehend mit dem Seidenhandel beschäftigt, so viel war klar. Als er am Ende des Rundgangs noch eine kleine, fast beiläufige Bemerkung über die Samtmäntel seiner Senatoren machte, wusste Paulina, dass er auch über den Stand der Lieferung genau auf dem Laufenden war. Noch einmal schickte sie in Gedanken ein Stoßgebet zum Himmel, dass es ihr gelungen war, rechtzeitig zu liefern.
«Darf ich Ihnen noch einen kleinen Imbiss anbieten, Majestät?», fragte Pierre beim Verlassen des Geschäftshauses. «Ich habe mir erlaubt, ein Gericht aus den Cevennen vorbereiten zu lassen.»
Napoleon, der für seine Abneigung gegen fremde Köche bekannt war, zögerte.
«Grüne Linsen mit Speck nach Art des Languedoc», setzte Pierre hinzu.
Die Erwähnung dieser südfranzösischen Speise machte den Kaiser nun doch neugierig. «Ich möchte das probieren», brummte er. «Aber nur eine kleine Portion.»
So kamen die Familie von Ostry und ihre Gäste in den militärisch kurzen Genuss, in Gesellschaft des Kaisers der Franzosen grüne Linsen mit Speck zu speisen. Fast wortlos und mit
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