Die Seidenbaronin (German Edition)
Zustände waren das nur in diesem hinterwäldlerischen Dorf!
Es war dreizehn Jahre her, dass Paulina die Königin zuletzt gesehen hatte. Sie war zuerst ein wenig erschrocken gewesen, denn Luise wirkte krank und mitgenommen. Doch die schlechte Verfassung hatte nichts am engelsgleichen Aussehen der Königin geändert. Sie war mit den Jahren sogar noch schöner geworden. Das Mädchenhafte war aus ihren Zügen verschwunden und hatte der edlen Anmut einer Frau in der Blütezeit ihres Lebens Platz gemacht. Selbst in ihrer störrischen Launenhaftigkeit war die Königin von bezwingendem Liebreiz.
Luise war unterdessen aufgestanden und im angrenzenden Zimmer verschwunden.
«Wenn nur nicht von Kalckreuth derjenige gewesen wäre, der mir die Nachricht Napoleons übermittelt hätte», hörte Paulina sie sagen. «Der Bürge für den Wunsch des Kaisers, mich zu sehen, ist ausgerechnet ein Mann, den ich nicht leiden kann. Ich traue diesem alten Fuchs nicht über den Weg. Wahrscheinlich hat er sogar darauf hingewirkt, dass von Hardenberg seinen Abschied nehmen muss.»
«Unsinn!», widersprach die Gräfin Voß, die ihr gefolgt war. «Von Kalckreuth braucht den Minister – genauso wie umgekehrt von Hardenberg den Generalfeldmarschall braucht. Nein, Majestät, die Verbannung des Staatsministers ist einzig und allein das Werk Napoleons.»
«Von Hardenberg, vom Stein, von Kalckreuth», zählte Luise auf. «Alle reden sie auf mich ein. Am Ende weiß man nicht mehr, was man glauben soll. Apropos – hatten Sie mir nicht versprochen, dass die Gräfin Ostry in Piktupönen sein würde, wenn ich eintreffe?»
«Majestät, meinen Sie nicht, dass Sie sich ein wenig ausruhen sollten, bevor Ihr Gatte aus Tilsit ankommt?»
«Lenken Sie nicht ab! Ich will mich nicht ausruhen!», entgegnete Luise störrisch. «Ich will mit einem Menschen reden, dem ich vertraue, bevor ich mich mit all den großartigen Staatsmännern auseinandersetzen muss!»
«Ob Sie der Gräfin Ostry wirklich vertrauen können, bleibt dahingestellt», bemerkte die Oberhofmeisterin schnippisch.
Paulina erhob sich. Es wurde Zeit, dass sie dieser lächerlichen Posse ein Ende machte. Ohne sich um die Einhaltung des Protokolls zu kümmern, das angesichts der ungezwungenen Umgangsformen im Schulhaus ohnehin keine große Rolle zu spielen schien, betrat sie das mit Koffern überfüllte Zimmer. Sie steuerte schnurstracks auf die Königin zu und machte einen Hofknicks.
Die Gräfin Voß tat einen Ausruf der Empörung.
«Hatte ich Sie nicht gebeten zu warten, bis ich Sie hole?», rief sie ungehalten. «Denken Sie an die Etikette! Sie können sich nicht das Recht herausnehmen …»
«Meine liebe Paulina!» Der erfreute Aufschrei Luises brachte die Gräfin Voß zum Schweigen. «Was für eine wunderbare Überraschung an diesem schrecklichen Tag! Ich wusste, dass Sie mich nicht im Stich lassen würden! Sie wird für mich die weite Reise machen, habe ich zu von Hardenberg gesagt. Ich bin Hauptmann von Bahro zu ewigem Dank verpflichtet, dass er keine Gefahr gescheut hat, um mir meinen Wunsch zu erfüllen.» Sie nahm Paulinas Hände. «Endlich sind Sie da!»
«Ich werde mich bemühen, Ihrer Majestät in Ihrer schweren Stunde beizustehen», sagte Paulina, überwältigt von Luises überschwänglichem Gefühlsausbruch.
Die Königin strahlte übers ganze Gesicht. «Sie müssen mir erzählen, wie es Ihnen ergangen ist, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben – wann war das noch gleich?»
«Es ist lange her, Majestät», sagte Paulina. «Sie waren noch nicht zur Königin gekrönt.»
«Ach, wäre ich es doch nie geworden!», seufzte Luise aus tiefstem Herzen. «Meine Schwester Therese hätte sich weitaus besser dazu geeignet. Ich hingegen weiß nicht, ob ich die Aufgaben meistern werde, die vor mir liegen.»
«Napoleon ist auch nur ein Mensch», versuchte Paulina, sie aufzumuntern.
«Dieser Mann ist kein Mensch!», entgegnete die Gräfin Voß. «Ich würde eher sagen, dass er der Teufel in Person ist!»
Luise warf ihr einen zornigen Blick zu. «Nun hören Sie endlich auf, Frau Gräfin! Ihre Worte tragen nicht gerade dazu bei, meine Besorgnis zu zerstreuen.» Sie wandte sich wieder an Paulina, und ihre schönen Augen funkelten leidenschaftlich. «Wie ist er, liebste Freundin? Sie, die Sie ihn kennen, sagen Sie es mir! Was ist er für ein Mensch? Wie soll ich ihm begegnen? Oh, ich habe Angst, dass ich ihm schreckliche Dinge sagen könnte, weil ich ihn so verachte!»
Napoleon wird
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