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Die Seidenbaronin (German Edition)

Die Seidenbaronin (German Edition)

Titel: Die Seidenbaronin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Rauen
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überall im Weg herumstanden. «Fahren Sie sofort nach Tilsit zurück und sagen Sie Seiner Majestät dem König, dass ich mich unter diesen Umständen weigere, mit Kaiser Napoleon zusammenzutreffen», herrschte sie den Adjutanten Friedrich Wilhelms an, der ihr soeben die Nachricht von der erzwungenen Verabschiedung des Staatsministers überbracht hatte.
    Wie auf Befehl tauchte aus einem Nebenzimmer die Gräfin Voß auf. Die Oberhofmeisterin der preußischen Königin hatte mittlerweile ein fast biblisches Alter erreicht, jedoch nichts von ihrer Energie verloren. «Aber Majestät, was reden Sie da! Wollen Sie dem korsischen Unmenschen kampflos das Feld überlassen?»
    «Ich werde nicht zu Kreuze kriechen!», machte Luise ihrem Ärger weiter Luft. «Es war schon erniedrigend genug, dass Napoleon meinen Gatten auf seinem albernen Floß nur geduldet hat! Muss er nun auch noch unseren wichtigsten Ratgeber in die Verbannung schicken?»
    Im Schulhaus von Piktupönen herrschte ein heilloses Durcheinander. Die am frühen Abend eingetroffene Königin und ihre Begleiter hatten das kleine Haus in einen Taubenschlag verwandelt.
    «Würden Sie endlich diese Koffer wegschaffen lassen, Frau Gräfin!», fuhr Luise ihre Oberhofmeisterin an, während sie sich mit kritischem Blick in dem kleinen Raum umsah.
    Die Gräfin Voß schlug die Hände über dem Kopf zusammen. «Wenn ich wüsste, wohin, Majestät! Alle Zimmer sind bereits hoffnungslos überfüllt.»
    Luise begann, an einem großen Koffer zu zerren. «Sie wissen, dass ich weiß Gott nicht anspruchsvoll bin, aber können Sie mir verraten, wie man sich in dieser Unordnung wohl fühlen soll? Was wird der König sagen, wenn er aus Tilsit kommt? Ach, wäre ich doch nur in Memel geblieben!»
    Aus dem hinteren Zimmer kam eine elegante junge Dame herbeigestürmt und stieß einen spitzen Schrei aus. «Aber Majestät! Sie können doch in Ihrem Zustand keine Koffer verrücken! Haben Sie etwa vergessen, dass Sie sich wieder in anderen Umständen befinden?» Zornig wandte sie sich an den Adjutanten. «Was stehen Sie da herum wie angenagelt? Schaffen Sie das Gepäck beiseite!»
    «Wohin soll ich es denn schaffen?», rief der junge Mann hilflos.
    Luise hatte sich auf das letzte freie Stückchen eines mit lauter Schachteln belegten Sofas gesetzt und hielt die Hände vors Gesicht. «Was habe ich nur verbrochen, dass mir eine solche Prüfung auferlegt wird? Wie eine Bittstellerin muss ich zu diesem Korsen gehen. Als ob es nicht schon reichen würde, dass wir uns seit fast zwei Jahren auf der Flucht vor ihm befinden. Wenn wir wenigstens nach Berlin zurückkehren könnten! Seit wir in Ostpreußen sind, werde ich ständig von Krankheit geplagt. Ach, wie ich dieses raue Klima verabscheue!»
    «Reißen Sie sich zusammen, Majestät!», wies die Gräfin Voß sie scharf zurecht. «Sie sind die Königin von Preußen! Auch wenn Ihnen der Gedanke, dem französischen Kaiser zu begegnen, unerträglich erscheint, so müssen Sie dieses Opfer für Ihr Land bringen.»
    Luise nahm die Hände vom Gesicht und blickte auf. «Ich bringe dieses Opfer einzig und allein für meinen Gatten und für sonst niemanden. Wenn Friedrich Wilhelm es nicht ausdrücklich gewünscht hätte, wäre ich niemals gekommen – niemals, hören Sie! Dies ist ein Ort, an dem ich nicht begraben sein will.»
    Die Oberhofmeisterin wandte sich seufzend an die eingetretene junge Dame. «Gräfin Tauentzien, erkundigen Sie sich, ob wir noch ein zweites Haus beziehen können, und sorgen Sie um Himmels willen dafür, dass alles aufgeräumt ist, bevor der König aus Tilsit eintrifft.»
    Die Angesprochene nickte und eilte aus dem Zimmer, dicht gefolgt von dem jungen Adjutanten. Sie liefen an Paulina vorbei, die wartend in einer Ecke der schmalen Diele saß. Die Gräfin streifte sie mit einem flüchtigen Blick.
    «Sind Sie die Wirtschafterin, die der Pastor mir beschaffen wollte? Dann fangen Sie schon einmal an, die Koffer auszupacken!», befahl sie ihr im Hinausgehen. «Und helfen Sie dem Kammerherrn, im oberen Stockwerk die Reisebetten aufzubauen!»
    Paulina zog pikiert die Augenbrauen hoch. Nachdem die Gräfin Voß sie zuerst dringend herbestellt hatte, harrte sie nun schon seit Ewigkeiten im dunklen Flur des Schulhauses aus. Es herrschte ein ständiges Kommen und Gehen, und alle Türen standen sperrangelweit offen. Doch anstatt sie endlich zu Königin Luise zu führen, behandelte man Paulina obendrein, als gehörte sie zum Dienstpersonal. Was für

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