Die Seidenbaronin (German Edition)
Tür. Eine Frau mit bleichem, müdem Gesicht öffnete ihr.
«Guten Abend, Madame. Ist Monsieur von Ostry hier?»
An dem entsetzten Blick der Frau erkannte Paulina, dass sie ins Schwarze getroffen hatte.
«Wären Sie bitte so freundlich, den gnädigen Herrn zu holen», forderte sie die Frau auf, bevor diese auf die Idee kommen konnte, Pierres Anwesenheit zu leugnen. «Sagen Sie ihm, seine Gattin wünsche ihn zu sprechen.»
«Seine Gattin?», rief die Frau entgeistert und musterte Paulina abfällig. Dann ging sie ins Haus und öffnete eine Tür am Ende des Ganges. Licht drang aus dem dahinterliegenden Zimmer und erhellte den Flur, sodass Paulina die Holzkisten erkannte, die vor dem Raum aufgestapelt waren. Die Frau verschwand in dem Zimmer, und kurz darauf waren aufgeregt flüsternde Stimmen zu vernehmen.
Paulina wurde es etwas mulmig zumute. Sie konnte kaum glauben, dass es tatsächlich Pierre war, den sie verfolgt hatte. Eine derartige Geheimniskrämerei in Hinterzimmern passte nicht zu ihrem Gatten, der bei all seinem Treiben doch immer bemüht war, die Form zu wahren.
Als die bleiche Frau wieder auftauchte, hatte sie einen hoch aufgeschossenen, mageren Jüngling im Schlepptau. Während er mit schlaksigem Gang den Flur entlangkam, warf er in einer ungestümen Bewegung seine dichten, schwarzen Locken zurück, die ihm bis auf die Schultern fielen.
«Frédéric!», rief Paulina beim Anblick ihres Sohnes überrascht. «Was machst du denn hier?»
Der Junge blieb vor ihr stehen. In seinem Blick war nicht das geringste Anzeichen eines schlechten Gewissens zu entdecken.
«Das Gleiche könnte ich Sie fragen, Maman», erwiderte er.
Paulina überlegte, ob sie dem Bengel eine Ohrfeige verpassen sollte. «Ich bin drei Gestalten gefolgt, die vor unserem Palais mein Misstrauen weckten. Ihre Kutsche brachte sie bis zu diesem Haus. Da ich wissen wollte, was hier für geheime Machenschaften im Gange sind, habe ich angeklopft und mich …»
«… als meine Gattin ausgegeben», vollendete Frédéric spöttisch den Satz seiner Mutter. «Damit haben Sie mir bei meinen Freunden den Ruf verschafft, die Reize reiferer Damen zu bevorzugen.»
«Was sind das für Freunde, mit denen mein vierzehnjähriger Sohn mysteriöse Kisten durch die Gegend schleppt?», entgegnete Paulina aufgebracht. «Ich mag zwar mittlerweile für deinesgleichen zu den reiferen Damen zählen – das heißt aber noch lange nicht, dass mein Verstand sich in Luft aufgelöst hat. Ein fröhlicher Abend unter jungen Burschen sieht für mich anders aus.»
Frédéric zuckte mit den Achseln. «Die Zeiten ändern sich eben, Maman. Kann ich jetzt zu meinen Freunden zurückkehren?»
«Zuerst will ich wissen, was es mit den Kisten auf sich hat, die ihr aus unserem Haus herausgetragen habt!»
«Müssen Sie ausgerechnet heute die fürsorgliche Mutter spielen?», stöhnte Frédéric. «Sonst vergessen Sie doch meistens, dass ich überhaupt existiere.»
«Nun, vielleicht ist dies der richtige Zeitpunkt, mich daran zu erinnern!» Paulina stürmte an ihrem verdutzten Sohn vorbei ins Haus hinein. Auf der Schwelle des geöffneten Zimmers blieb sie stehen.
In der Mitte des Raumes befand sich eine große Maschine. Zwei junge Männer in Hemdsärmeln standen daneben. Einer hatte seine Hand noch an einem langen Hebel, der andere hielt eine große Platte auf den Armen. An der Wand befand sich ein Setzkasten, vor dem ein weiterer Jüngling hockte. Alle drei hatten innegehalten, als Paulina das Zimmer betrat, und starrten die fremde Frau nun an. Es roch nach Druckerschwärze.
«Was tut ihr hier?», fragte Paulina fassungslos, doch sie wusste die Antwort schon, bevor die jungen Männer sie ihr geben konnten. Ihre Ahnung wurde bestätigt, als sie auf einem Tisch ein Pamphlet entdeckte, dessen Farbe noch nicht ganz trocken war. Sie trat näher und las erschüttert die kaiserfeindlichen Parolen, die diese jungen Burschen offenbar in Paris unter die Leute brachten.
«Seid ihr wahnsinnig? Könnt ihr euch eigentlich vorstellen, wie gefährlich es ist, was ihr da treibt?»
«Keine Sorge, Madame, es weiß niemand darüber Bescheid», meinte der junge Mann an der Kurbel, ein hübscher Kerl mit langen blonden Engelshaaren.
Paulina lachte bitter auf. «Ihr seid im Irrtum! Napoleons Geheimdienst ist längst über eure Aktivitäten unterrichtet.»
Die jungen Männer tauschten betroffene Blicke.
«Woher weißt du …?», ertönte Frédérics nicht mehr ganz so selbstsichere Stimme aus
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