Die Seidenbaronin (German Edition)
dem Hintergrund.
Paulina wirbelte herum. «Du wirst dich wundern, mein Sohn! Ich weiß es von genau dem Menschen, gegen den ihr eure Hetzschriften verfasst. Er ist glücklicherweise der Meinung, dass man Rotzlümmeln wie euch besser eins hinter die Ohren gibt, anstatt euch ins Gefängnis zu stecken. Seht zu, dass ihr diesen Schund hier wegschafft und den Betrieb eurer kleinen Hausdruckerei einstellt, wenn ihr nicht die nächsten Jahre in einer stinkenden Zelle verbringen wollt!»
Paulina packte ihren zerknirschten Sohn und zog ihn auf die Straße hinaus. Erst als sie in der Kutsche saßen, ließ sie ihn los.
«Bist du verrückt geworden?», herrschte sie den Jungen an. «Ist dir bewusst, in welcher Gefahr du steckst?»
Frédéric starrte trotzig aus dem Fenster.
«Dein Vater ist Mitglied des französischen Senats!», sagte Paulina und merkte sofort, dass sie einen wunden Punkt getroffen hatte.
Frédérics Augen funkelten zornig. «Vater ist gut darin, große Reden zu schwingen! Aber sobald es darum geht, diesen Reden auch Taten folgen zu lassen …»
Paulina betrachtete ihren Sohn. Er erinnerte sie unwillkürlich immer an den Mann, der erneut aus ihrem Leben verschwunden war, kaum dass er nach vielen Jahren wieder Einlass darin gefunden hatte. Abermals war ihnen nur eine kurze Begegnung beschieden gewesen. Christian war mit einer Hofdame der preußischen Königin verheiratet. Er hatte ihr in Tilsit zwar beteuert, dass es sich um eine reine Zweckverbindung handelte, aber hätte Paulina der armen Luise nach der ungeheuerlichen Demütigung durch den französischen Kaiser auch noch einen Skandal in ihrem Hofstaat zumuten sollen? Allein das war Grund genug für sie gewesen, sofort aus Piktupönen abzureisen.
Von seinem Sohn wusste Christian bis heute nichts. Doch nun, da Paulina ihn einer so bedrohlichen Gefahr ausgesetzt sah, wünschte sie plötzlich, sie hätte Christian von ihm erzählt. Sie hatte es vorgehabt, ja, nach jenem magischen Nachmittag im ostpreußischen Sommer, aber es war nicht mehr dazu gekommen.
«Die Taten dürfen aber nicht unvernünftig sein, mein Sohn», sagte Paulina etwas versöhnlicher. «Mit dem Geheimdienst des Kaisers ist nicht zu spaßen.»
«Man muss den Menschen die Augen öffnen über diesen Despoten, Maman!», rief Frédéric leidenschaftlich. «Macht es Ihnen denn gar nichts aus, wie eine Marionette auf seinen angeordneten Festen in den Tuilerien zu tanzen?»
«Natürlich macht es mir etwas aus! Ich kenne den Kaiser jedoch und weiß, dass er seinen Feinden gegenüber unbarmherzig ist.»
Frédéric reckte entschlossen das Kinn vor. «Ich werde schon einen Weg finden, mich gegen ihn zur Wehr zu setzen, ohne dass er oder seine Schergen mir auf die Schliche kommen.»
Paulina schwieg zutiefst beunruhigt. Woher hatte der Junge nur seine Starrköpfigkeit? Es war offenbar sinnlos, noch länger auf ihn einzureden. Andererseits war die Warnung des Kaisers eindeutig gewesen. Paulina seufzte. Ihr würde nichts anderes übrigblieben, als ihren Sohn vor sich selbst zu schützen und ihn vor allem dem Einfluss seiner Pariser Kumpane zu entziehen.
Sie beschloss, ihn fürs Erste nach Crefeld zu schicken.
«Ich hätte nicht gedacht, dass Sie dazu neigen, in Tagträumen zu schwelgen, Frau Gräfin!»
Paulina, die an einer steinernen Ufermauer lehnte und gedankenverloren auf den winterlichen Fluss blickte, drehte erschrocken ihren Kopf zur Seite. Neben ihr war jedoch niemand zu sehen.
«Leider bin ich immer noch dazu gezwungen, mein Leben auf niedriger Ebene zu fristen», erklang erneut die Stimme, und als Paulina sich umwandte, stand hinter ihr auf dem Bürgersteig ein Stuhl mit Rädern, in dem ein Mann in einem verschlissenen Mantel saß. Unter seiner tief ins Gesicht gezogenen, dunklen Wollmütze quollen karottenrote Locken hervor.
«Monsieur de Longeaux!», rief sie ehrlich erfreut. «Wir haben uns lange nicht gesehen!»
«Genauer gesagt sind fünf Jahre seither vergangen, Madame», präzisierte Longeaux.
Wenn Paulina nicht gewusst hätte, dass er ein Graf und ehemaliger hoher Staatsbeamter war, hätte sie ihn für einen armen Schlucker aus dem Faubourg Saint Antoine gehalten. Es machte den Anschein, als habe er seine während der Französischen Revolution errungenen Würden unter Kaiser Napoleon nicht behaupten können. Vielleicht war er auch deshalb nie ihrer Einladung gefolgt.
«Kann ich irgendetwas für Sie tun, Monsieur?», fragte Paulina also und versuchte, den Anflug von
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