Die Seidenbaronin (German Edition)
Hause vor sich ging. Die Tür wurde nur einen Spaltbreit geöffnet. Im Halbdunkel erkannte Paulina das Gesicht der durch Arbeit und Sorgen früh gealterten Gattin des Verwalters. Die Frau schlug beim Anblick des späten Gastes entsetzt die Hand vor den Mund.
«Frau von Ostry! Was machen Sie denn hier?»
Paulina drückte verärgert die Tür auf und schob sich an der Frau vorbei ins Haus. «Falls Sie es vergessen haben sollten – ich bin die Besitzerin dieses Anwesens. Wo ist mein Diener? Ich hatte ihn vorausgeschickt, um Sie von meiner Ankunft zu unterrichten!»
«Ihr … Ihr Diener?», stammelte die Verwalterin. «Dann … war dieser Mann also Ihr Diener?»
Paulina sah sich forschend in dem dunklen, ungewöhnlich stillen Hausflur um. «Hat er Ihnen das nicht gesagt?»
«Nun ja, er … er kam gewissermaßen nicht dazu.»
«Was soll das heißen?»
Die Frau rang verzweifelt die Hände. «Er wurde gleich in den Stall gesperrt!»
Paulina stemmte die Hände in die Hüften. «Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir zu erklären, warum Sie meinen Diener in den Stall gesperrt haben?»
«Weil er Französisch sprach. Man dachte, er sei ein … ähm … ein Spitzel.»
«Mein armer Jacques ein Spitzel? Wer dachte das? Von wem reden Sie eigentlich die ganze Zeit?»
Die Frau war nun in höchster Verlegenheit. «Mein Gatte … die anderen Herren … sie meinten …»
Paulina sah ein, dass sie so nicht weiterkam. Kurzerhand marschierte sie den dunklen Flur entlang, bis sie am Ende des Ganges eine Tür erreichte, unter der sich ein schwacher Lichtstreifen abzeichnete. Ohne anzuklopfen platzte sie in das Zimmer hinein.
Um einen kleinen runden Tisch saßen fünf Männer, die Köpfe tief über eine große Karte gebeugt. Nur eine einzige Lampe erhellte ihren Arbeitsbereich, während der Rest des Raumes im Dunkeln lag. Drei der Herren trugen Uniformen, die beiden anderen schwarze Röcke. Sie waren so in ihre Betrachtungen vertieft, dass nicht einer von ihnen aufblickte.
Paulina räusperte sich. «Mir scheint, dass es höchste Zeit wurde, hier einmal nach dem Rechten zu sehen! Kann mir einer der Herren erklären, was in diesem Hause vor sich geht?»
Fünf Köpfe drehten sich gleichzeitig zu ihr um, und fünf Augenpaare starrten sie an.
Paulina erkannte ihren Verwalter, während sie die Herren in Uniform noch nie gesehen hatte. Der fünfte Herr jedoch, dessen Augen mit eisigem Blick auf ihr ruhten, erweckte in ihr endgültig das Gefühl, in einem schlechten Traum zu sein. Sein Gesicht, das inzwischen von weißem Haar umgeben war, würde ihr zeit ihres Lebens im Gedächtnis bleiben.
«Sie?», rief Paulina aus. «Was machen Sie in Blommersforst, Graf Bahro? Wären Sie so freundlich, mir zu erläutern, was für eine Art von Zusammenkunft dies ist?»
Der Verwalter sprang so heftig von seinem Stuhl auf, dass dieser umfiel. «Ich hatte keine Ahnung, dass Sie kommen würden, Frau Gräfin! Wir sind … ich meine, wir haben … es ist nicht so, wie Sie vielleicht denken …»
«Selbstverständlich sollen Sie den Zweck unseres kleinen Treffens erfahren, gnädige Frau!», erklang die herrische Stimme des Grafen Bahro, der sich ebenfalls erhoben hatte.
Paulina schloss die Lider.
Niemals, hören Sie, niemals, solange ich lebe, werde ich zulassen, dass Sie die Frau meines Sohnes werden!
Es war dieselbe Stimme, die damals mit jenem vernichtenden Satz ihre Zukunft zerstört hatte. Jahrelang hatten diese Stimme und diese Worte sie bis in den Schlaf verfolgt. Als sie die Augen wieder öffnete, stand der Graf Bahro vor ihr.
«Ihr Verwalter war so freundlich, uns sein Haus zur Verfügung zu stellen, gnädige Frau», erklärte er höflich, aber ohne das geringste Zeichen von Reue. «Es hieß, dass Sie, Madame, dieses Anwesen seit fünfzehn Jahren nicht mehr betreten hätten.»
Ja, seitdem Sie dafür gesorgt haben, dass ich hier vergeblich auf Ihren Sohn wartete, hätte Paulina ihm am liebsten an den Kopf geworfen.
Sie schaffte es, äußerlich einigermaßen ruhig zu bleiben.
«Nun, wie Sie sehen, bin ich jetzt hier», sagte sie kühl. «Und es würde mich brennend interessieren, was ausgerechnet Sie auf meinem Grund und Boden verloren haben. Ein ehemaliger Minister des hannoverschen Hofes, der in ominöser Runde in einer Verwalterwohnung sitzt – das riecht meilenweit gegen den Wind nach Verschwörung!»
Paulinas Vermutung löste in dem Grafen nun doch eine Regung aus, denn seine Mundwinkel zuckten leicht.
«Sie sehen
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