Die Seidenbaronin (German Edition)
nach Hannover reisen, um ihr beizustehen.»
Therese kniff den Mund zusammen. «Das wundert mich ein wenig, meine Liebe. Gestern Abend beim Souper traf ich die Baronin Solleggen, die am kurfürstlichen Hof von Hannover lebt. Wir kamen auf Ihre Großtante zu sprechen … Nun, die Gräfin Bahro ist zwar erkrankt, das ist wahr, aber es ist keineswegs so ernst, als dass man das Schlimmste befürchten müsste.»
Paulina biss sich auf die Lippen.
Therese hat gemerkt, dass ich sie angelogen habe, dachte sie zerknirscht. Und das erzürnt sie noch mehr als die Tatsache, dass ich ausgerechnet jetzt Frankfurt verlassen will.
«Sie lassen also nicht mit sich reden?»
Therese schüttelte langsam den Kopf. In ihren Augen war nun ein Hauch von Traurigkeit. «Nein! Ich wünsche, dass Sie in Frankfurt bleiben, bis die Krönungsfeierlichkeiten beendet sind.»
In der Abgeschiedenheit ihres Zimmers begann Paulina, fieberhaft Pläne zu schmieden. Sie war fest entschlossen, auch ohne Thereses Zustimmung nach Hannover zu reisen. Nächtelang hatte sie sich nach dem Gespräch mit Ulrich von Bahro die Augen ausgeweint. Irgendwann hatte ihre Mutlosigkeit nachgelassen, die Tränen waren versiegt, und ihr Kampfgeist war zurückgekehrt.
Sie wollte von Christian selbst hören, ob all die Briefe, die er ihr geschrieben hatte, eine einzige Lüge gewesen waren. Dazu musste sie dringend mit ihm persönlich sprechen. Nur – wie sollte sie nach Hannover gelangen? Sie war noch nie alleine gereist. Woher sollte sie eine Kutsche bekommen?
Bei der Rückkehr von einem Spaziergang mit Agnes von Birnreuth hörte sie zufällig ein Gespräch zwischen dem Pförtner des Palais und seinem Neffen mit. Der junge Bursche war gekommen, um sich von seinem Onkel zu verabschieden. Er wollte in Sachsen das Handwerk der Leinenweberei erlernen und am nächsten Tag mit der Post nach Kassel und von dort aus weiter nach Dresden fahren.
Paulina horchte auf. Die Post! Warum war ihr das nicht gleich eingefallen? Da lebte sie nun seit über einem Jahr im Haus des kaiserlichen Generalpostmeisters und hatte sich noch nie Gedanken darüber gemacht, woher sein Reichtum und die Geldmittel für seine prunkvolle Hofhaltung kamen. Paulina ließ die verdutzte Agnes von Birnreuth stehen und folgte kurz entschlossen dem Burschen auf die Straße hinaus. Sobald sie außer Sichtweite des Palais waren, trat sie ihm beherzt in den Weg.
«Heda, schönes Fräulein!», rief er. «Wollen Sie mich etwa ein Stück begleiten?»
«Bilde dir nur nichts ein, du frecher Lümmel!», stellte Paulina klar. «Du musst mir nur zwei Fragen beantworten: Wo finde ich in Frankfurt das Postamt? Und wie erfahre ich, wann die nächste Postkutsche nach Hannover fährt?»
Der Bursche musterte sie ungläubig. «Da spricht mich einmal im Leben eine feine Dame an, und dann fragt sie mich nach dem Postamt! Habe ich Sie nicht eben im Hof des fürstlichen Palais gesehen? Mit Verlaub, meine Gnädigste, seit wann fährt ein Edelfräulein wie Sie mit der Post?»
«Das geht dich gar nichts an!», erwiderte Paulina schnippisch. «Also, was ist? Sagst du mir nun, wo das Postamt ist?»
Er nannte ihr den Namen der Straße. «Morgen früh um sechs geht eine Postkutsche nach Kassel, Mademoiselle. Ich weiß das, weil ich selbst mit dem Wagen fahren werde. Von Kassel aus können Sie weiter nach Hannover reisen.»
Paulina machte sich zerstreut auf den Heimweg. Morgen früh um sechs Uhr! Wenn sie wirklich mitfahren wollte, blieb ihr nicht viel Zeit. Im Palais angekommen, machte sie sich schleunigst auf die Suche nach Agnes von Birnreuth. Sie fand sie mit einer Handarbeit in ihrem Apartment sitzend.
«Könnten Sie mir etwas Geld borgen?», fragte Paulina ohne Umschweife. «Sie würden mir einen großen Gefallen erweisen.»
Agnes legte ihre Stickerei beiseite. «Sie machen mir wirklich Spaß, meine Liebe! Erst lassen Sie mich einfach stehen und verschwinden ohne ein einziges Wort, und nun, anstatt sich für Ihr ungeheuerliches Benehmen zu entschuldigen, fällt Ihnen bereits die nächste Merkwürdigkeit ein! Verraten Sie mir wenigstens, wofür Sie das Geld benötigen?»
Paulina kannte Agnes’ Wankelmut und Hang zum Intrigantentum mittlerweile gut genug, um zu wissen, dass sie ihren hübschen Mund nicht halten würde.
«Ich … ich habe Spielschulden», sagte sie also. «Es wäre mir peinlich, Ihre Hoheit fragen zu müssen.»
Agnes wirkte enttäuscht. Sie hatte sicher eine pikante Klatschgeschichte gewittert und musste
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