Die seidene Madonna - Roman
voller Selbstbewusstsein an der Seite der noch immer sehr abweisend wirkenden Johanna auf den Thron zuschritt, konnten sie König und Königin von Frankreich in aller Ruhe mustern.
»Welch schönes Paar!«, rief Louis XII. begeistert, was seine Gattin mit einem leichten Kopfnicken bestätigte, aber bei sich dachte, dass die Kälte der Spanierin auch die besten Absichten des französischen Königreichs zunichte machen dürfte.
Dann erhob sich der König, bedeutete dem jungen Mann, dass es genug der Verbeugungen war, und umarmte ihn, nicht ohne daran zu denken, dass ihm nur wenige Tage Zeit blieb, Spanien für die französische Sache zu gewinnen.
Als dann Königin Anne auf Johanna zuging, tauchten die silbernen Kandelaber an der Decke das makellose Gesicht der jungen Spanierin in beinahe grelles Licht. Ihr Gesicht ist zu vollkommen, sie kann gar nicht das nötige Verständnis für die Bedürfnisse an ihrem Hof aufbringen, dachte sich Anne. Aber da täuschte sie sich, denn Johanna wartete eigentlich nur auf ein Zeichen von Natürlichkeit, zu der Anne jedoch nicht in der Lage war.
»Ich bin überglücklich, Euch in Blois begrüßen zu dürfen, Madame«, begann sie stattdessen schwülstig. »Wollen wir uns umarmen? Das ist in Frankreich so Brauch. Schließlich sind wir angeheiratete Cousinen.«
Als sie erkannte, dass die junge Spanierin keinerlei Anstalten
machte, auf sie zuzugehen, wurde Anne immer gereizter und sagte spöttisch:
»Augenscheinlich seid Ihr wirklich von schamhafter Zurückhaltung, und solche Gefühlsäußerungen kommen Euch unanständig vor.«
Die Bemerkung war in keiner Weise dazu angetan, die Spannung zwischen den beiden Frauen aufzuheben. Da kam Anne plötzlich der Gedanke, dass Johanna sie vielleicht einfach nicht verstanden hatte, weil sie Französisch sprach. Aber auch hierin hatte sie sich getäuscht.
Louise beobachtete die Szene von weitem. Sie sah, wie Philipp Johanna zornig anblickte, die sich davon aber scheinbar nicht beeindrucken ließ. Steif und abweisend verweigerte Johanna mit versteinerter Miene jegliche Annäherung. Wenn es auch in Frankreich üblich sein mochte, sich überschwänglich zu umarmen, hieß das noch lange nicht, dass sie als Spanierin derart unfeine Berührungen zu dulden hatte, um einem anderen Respekt zu erweisen. Davon war und blieb Johanna von Kastilien fest überzeugt.
Außerdem irritierte sie der ganze Luxus. Die dicken Orientteppiche, das venezianische Kristall, die Fayencen aus Holland, das bemalte Getäfel und die viel zu grellen Lichter erdrückten sie schier. Sie hatte das Gefühl, all das nehme ihr den Atem.
Viel lieber als dieser übermäßige Komfort und der prahlerische Luxus waren ihr die schlicht gehaltenen Residenzen der spanischen Könige. Den großen Kaminen, die während der kalten französischen Winter geheizt wurden, diesen Strohfeuern, deren Wärme nur wenige Schritte weit reichte, zog sie das Spiel von Licht und Schatten vor, das sie zuhause bei geschlossenen Läden oder heruntergelassenen schmiedeeisernen Jalousien genießen konnte.
Die dichten Wälder, den finsteren Tann, diese wahren Labyrinthe, in denen man zu ersticken drohte, mochte sie nicht. Sie liebte die offene, von der Sonne ausgedörrte Weite unter einem unendlich blauen Himmel. Ockerroten Boden, warme, trockene, geheimnisvolle Erde, die nachdenklich macht und beruhigt.
Der erste festliche Abend verlief nicht anders. Louis XII. und der junge Philipp von Österreich unterhielten sich großartig und entdeckten stets neue Gemeinsamkeiten, während zwischen den beiden Königinnen Verstimmung herrschte.
Louise fand es reichlich undiplomatisch von der Königin von Frankreich, dass sie sich gar nicht bemühte, Johanna von Kastilien für sich einzunehmen. Immerhin wollte sie bei dieser Begegnung das Kind, das sie erwartete - falls es ein Mädchen sein sollte - dem spanischen Infanten versprechen, dem zukünftigen Karl V.
Es war Anne nämlich gelungen, Louis XII. davon zu überzeugen, wie günstig es für Frankreichs Position gegenüber Spanien und Österreich wäre, wenn sie eine ihrer späteren Töchter mit dem kleinen Jungen verheiraten würden, der bereits in seiner Wiege unter dem Doppeladler schlief.
Wieder betrachtete Louise Johanna von Kastilien, nicht ahnend, dass besagtes Kind, dem man jetzt schon eine französische Prinzessin versprechen wollte, einmal der gefürchtete Feind ihres eigenen Sohnes sein würde. Und der dicke kleine Junge mit seiner Habsburgerlippe, der
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