Die seidene Madonna - Roman
beide euch dann versteht. Ich würde Euch zu gern zeigen, was für ein herrliches Gefühl es ist, sein eigenes Pferd zu reiten!«
»Einverstanden, ich werde Eure Schülerin«, antwortete Alix vergnügt. »Ich bin schon so viele Meilen auf meinen Mulis durch die Welt gezockelt, dass ich eigentlich weiß, wie man reitet. Ich muss nur noch das Traben und Galoppieren lernen.«
Also gab Marguerite Alix jeden Tag, sobald es hell wurde, Reitunterricht. Gemeinsam ließen sie ihre Pferde an den Ufern der Loire oder durch das Tal der Amasse, das Louise von ihrem Zimmer aus überblicken konnte, laufen. Sie sah sie davonreiten und, wenn die Glocke der Kapelle Saint-Hubert Mittag läutete, erschöpft von ihrem Ausritt zurückkehren.
Nie zuvor hatte sich Alix so berauscht gefühlt. Sie schmiegte sich an Jason, drückte sich an ihn, ja lag fast auf seinem Rücken, sobald Marguerite in Galopp fiel. Sie hielt die Zügel fester, rieb ihre Beine aufgeregt an seinen Flanken und keuchte vor Angst und vor Freude.
»Gebt ihm niemals die Sporen, Alix, sonst macht Ihr ihn nur
verrückt. Jason kann jedes Eurer Gefühle, jede Reaktion von Euch spüren. Er wird sich mühelos führen lassen. Redet ihm sanft zu, flüstert ihm etwas ins Ohr, das wie Musik klingt, streichelt ihn, wenn Ihr etwas von ihm wollt. Wenn er fühlt, dass Ihr aufrichtig und furchtlos seid, wird er alles verstehen.«
Abends saß Alix dann mit Louise zusammen, und sie sprachen über ihr sagenhaftes Einhorn, das in ihrer Phantasie allmählich konkrete Formen annahm, weil sie immer wieder jede Einzelheit diskutierten, und zu einer gewaltigen Motivfolge angewachsen war; die Bilder dazu wollte die junge Weberin dem wirklichen Leben entnehmen.
Zu diesem Zweck hatte sie bereits Tinte und Farben, Pinsel und Federn bestellt und ließ sich von der anrührenden Vertrautheit der Mutter und ihrer Kinder zu ihren Entwürfen inspirieren.
Von nun an diente ihr alles als Motiv für ihre Zeichnungen. Mit der Feder in der Hand zeichnete Alix Marguerite am Cembalo oder an der Harfe, Louise an ihrem Pult, François im Spiel mit Hapaguai oder mit der Windhündin Prunelle.
Den ganzen Tag über skizzierte sie die vornehmen Hofdamen, wenn sie einem Herrn den Arm reichten, einen Spiegel in der Hand hielten oder ein Kästchen zur Hand nahmen, sich mit dem Oberkörper über ein Pferd beugten, wenn es ein Hindernis übersprang, einer Blume oder einem Vogel bewundernde Blicke schenkten. So hielt sie Augenblicke fest, die sie niemals so intensiv hätte wiedergeben können, wenn sie sie nicht aus nächster Nähe erlebt hätte.
Voller Bewunderung beobachtete sie Jeanne, wenn sie sich vor ihren Spiegel setzte und ihr Gesicht schminkte, wobei sie sorgfältig darauf achtete, das passende Parfüm und die richtige Lotion oder Creme für ihre Haut zu wählen. Genauso sehr interessierte sie sich für jede Handbewegung von Antoinette, wenn die ihre
gewissenhaft gekämmten, parfümierten und gelockten schwarzen Haare mit einem Silberband zu einer schönen Frisur hochsteckte.
Und wie viele Bilder stahl Alix erst ihrer geliebten Freundin Louise! Sie zeichnete sie, wenn sie ihre Kinder an sich drückte, sie malte ihre großen sanften Augen, ihr Lächeln, ihre Blicke, ihre Bewegungen.
Sie zeichnete die vornehmen jungen Herren, die sich im Schlosshof mit Schwertern in der Hand, bunten Beinkleidern und Federhelmen im Kampf übten. Sie skizzierte die Umrisse, spielte mit den Farben und träumte von den Stichen, mit denen sie die Bilder auf dem Hochwebstuhl Gestalt annehmen lassen wollte.
Alix war vollends glücklich. Einen Teil ihrer Zeit verbrachte sie mit der älteren Louise, den anderen mit ihrer jüngeren Freundin Marguerite, wobei sie sich deren jeweiligen Interessen anpasste.
Weil Alix in Gesellschaft von Louise und ihren Kindern ihre Bildung vervollkommnen sollte, kam es, wie nicht anders zu erwarten war, zu einem Zusammenstoß mit dem Marschall.
Als sie eines Tages mit Marguerite und François zusammen war, erschien der Lehrer, musterte sie kühl und verkündete unfreundlich:
»Zeit für Euren Italienischunterricht, junger Mann!«
»Was habt Ihr für ein Glück, fremde Sprachen zu lernen!«, rief Alix. »Julio hat begonnen, mir Unterricht zu geben. Er findet, dass ich sehr begabt bin. Hoffentlich habe ich nicht alles vergessen, bis ich wieder zuhause bin.«
»Dann kommt doch und macht bei meinem Unterricht einfach mit!«, sagte François und war ganz begeistert von dieser Idee.
»Das kommt
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