Die seidene Madonna - Roman
dem man sie offenbar ersticken wollte!
Zehn Pagen, gekleidet in den Farben von Anne de Bretagne,
eröffneten das Defilee. Sie trugen Fackeln, die den Weg beleuchteten, damit niemand auf den oft engen und ausgetretenen Wendeltreppen und an den vielen Ecken stolperte.
Zuerst erschien dann die Comtesse de Dunois mit einer silbernen Platte, auf der sich verschiedene Brotsorten türmten: Brot mit Nüssen, mit Backpflaumen und mit Mandeln, geröstetes und gegrilltes Brot und Brioches.
Die Duchesse de Valentinois brachte Konfekt, und die Comtesse de Nevers reichte ein silbergoldenes Gestell, auf dem Messer, Löffel und Gabeln mit zwei oder drei Zinken dekorativ aufgereiht waren.
Louise d’Angoulême trug die parfümierten Servietten, und ihre Tochter Marguerite, die sich trotz ihres jugendlichen Alters in der Rolle als Gastgeberin üben durfte, brachte ein purpurrotes Samtkissen mit einem silbernen Trinkbecher.
Es folgten die Hoffräulein der Königin mit einer köstlichen Auswahl an Konfitüren, Zuckerwaren, Schokoladen und Honig-, Rhabarber- und Apfelkuchen.
Und am Schluss servierte Constance, die Tochter von Isabelle Gräfin de La Trémoille, die Früchte - das Obst war pyramidenartig in einem mit weißen Satinbändern geschmückten Weidenkorb arrangiert.
Johanna nickte jeden Gang schnell weiter, ohne lange bei den Gesichtern zu verweilen, mit Ausnahme von Marguerite und Louise, denen sie ein Lächeln schenkte. Die Speisen, die man der Form halber den Mundschenk kosten ließ, ehe sie davon nahm, rührte sie kaum an.
Die versammelten Hofdamen registrierten ganz genau, wie sie ein kleines Brot mit Korinthen und ein zweites mit Nüssen aß, fünf oder sechs Schokoladendragees lutschte, von einem Kuchen ein paar Stückchen gebackenen Apfel mit Zimt und Honig klaubte
und ihr Abendessen mit zwei oder drei eingemachten Früchten abschloss.
Dann hoffte die ganze Gesellschaft auf ein paar Lobesworte, aber die stolze Spanierin enttäuschte sie.
Marguerite, die ihr den Trinkbecher reichte, damit sie ihre schönen Lippen netzen konnte, wann immer sie Durst hatte, bedachte sie mit einem etwas nachsichtigeren Blick und bat sie mit einem gewinnenden Lächeln auf Spanisch um eine der saftigen, ein wenig säuerlichen und doch süßen kugelrunden Früchte, die eine grüne und eine rote Seite hatten und die sie nicht kannte. Marguerite erklärte ihr auf Spanisch, dass es sich dabei um Äpfel handelte, suchte den schönsten, den sie in dem kunstvoll dekorierten Weidenkorb finden konnte, heraus und reichte ihn Johanna anmutig.
Als dies frugale, wenn auch üppige Mahl, an dem Königin Anne allerdings nicht teilgenommen hatte, beendet war, äußerte Johanna den Wunsch, allein zu sein.
Sie blieb aufrecht in stolzer, unnahbarer Haltung sitzen, nur ihr Blick war von einer Sehnsucht erfüllt, die allein ihr treuer Freund, der Bischof von Córdoba verstand. Morgen schon wollte er sie trösten, sie auf den geraden und gerechten Weg zurückführen und vielleicht sogar Philipp an seine ehelichen Pflichten erinnern, weil er nicht die Vergrößerung der österreichischen Kaiserfamilie und auch nicht die der spanischen abschließen konnte, nur weil ein Infant geboren worden war. Prinzessinnen waren schließlich ebenfalls erwünscht.
Johanna war weiterhin ungerührt und wollte schon bedeuten, dass man sie allein lassen solle. Aber ehe sich alle Hofdamen und Hoffräulein verabschiedeten und zu den Festlichkeiten zurückkehrten, weil sie natürlich auf keinen Fall die Bälle verpassen
wollten, und Johanna ihr Abendgebet verrichten konnte, kündigte ihr Louise noch ein letztes Geschenk an.
Jetzt erst trat Alix in dem Bewusstsein, dass die Blicke der gesamten Entourage von Königin Anne auf sie gerichtet waren, mit äußerster Zurückhaltung und schlichter Würde mit ihrem Geschenk vor die Kastilierin. Keinerlei Anmaßung, keine Geziertheit begleitete ihre Bewegung. Sie reichte Johanna einen kleinen, ganz aus Goldfäden gewebten Teppich mit den Wappen des Hauses Kastilien.
In schlechtem Spanisch, weil sie gerade erst angefangen hatte, die Sprache zu lernen, erklärte sie Johanna von Kastilien dann, dass sie diesen Teppich mit Zustimmung und auf Kosten der Comtesse d’Angoulême ganz allein gewebt hatte.
»Das ist ein Gebetsteppich, nicht wahr?«, fragte die Spanierin zur großen Verwunderung des Publikums in fehlerlosem Französisch. »Er ist wunderschön! Gleich heute Abend will ich mich darauf knien, wenn erst all die Leute hier
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