Die Seidenstickerin
auch der Vorhof überschwemmt war – das Wasser reichte bereits bis an den Rand des Brunnens, den man darin kaum noch erkennen konnte.
Außerdem hatte der Gastwirt die Eingangstür verriegelt, weil er befürchtete, der Sturm könnte sie aus den Angeln heben und seine drei großen Räume im Erdgeschoss überfluten.
»Jesus Maria!«, entfuhr es einer Alten, die mit einem Eimer voller guter Kuhmilch in der Hand vor ihnen auftauchte, die sie gerade gemolken hatte – lauwarme, sahnige Milch, die ihre schönen, kräftigen bretonischen Milchkühe jeden Morgen gaben. Die Tiere hatte sie aus dem Stall geholt, weil ihnen bei Sonnenaufgang das Wasser bereits bis zum Bauch gestanden hatte.
»Jesus Maria!«, wiederholte sie. »Der Fluss hat uns ein paar Ertrunkene zurückgegeben! Was für eine Ungerechtigkeit des Himmels, dass er uns so viel Wasser schickt!«
»Beruhigt Euch doch, gute Frau!«, sagte Jean de Villiers. »Ich zahle deinem Herrn einen Silberling, wenn wir uns bei ihm aufwärmen dürfen und Kost und Logis bekommen.«
Mit einem prüfenden Blick musterte die Alte die verirrte kleine Reisegruppe und schüttelte entsetzt den Kopf.
»Die armen Mädchen!«, sagte sie beim Anblick von Constance und Alix, deren durchnässte Kleider so in Fetzen hingen, dass man ihren weißen Hals und ihre hübschen Beine sehen konnte, von denen sich die Seidenstrümpfe längst verabschiedet hatten.
Dann wanderte ihr erschrockener Blick zu den drei Männern, die auch nicht mehr besser angezogen waren. Jeans prächtiges Kardinalsgewand war zerrissen und hing traurig an ihm herunter. Und das ohnehin bereits reichlich abgetragene Wams von Charles war an den Schultern eingerissen und so tropfnass, dass sich dunkle Pfützen um seine Füße bildeten.
Was nun die Beinkleider des Kutschers betraf, so hatte er deren wesentliche Bestandteile in den tobenden Fluten der Loire gelassen, und seine stämmigen behaarten Beine waren so nackt wie die eines hässlichen Jahrmarktsaffen.
»Jesus Maria!«, entfuhr es der alten Frau noch einmal, ehe sie den Milchkübel abstellte. »Ich geh meinen Herrn holen. Bleibt solange hier.«
Dafür hätte man sich einen unangenehmeren Ort denken können. Hier war es warm und trocken, und aus dem Stall nebenan roch es gut nach Mist. Die kleine Bodenerhebung, auf die man die Tiere geführt hatte, war noch nicht überflutet, und die etwa zehn Pferde befanden sich noch im Trockenen.
Diese Situation – alle waren halbnackt und aufgelöst und schlotterten vor Kälte – war jedenfalls weitaus angenehmer als die reißende Loire.
Der Wirt erschien wenige Minuten später.
»Teufel noch eins!«, fluchte er beim Anblick der traurigen Gestalten, die dem Fluss entkommen waren. »War das wirklich nötig, dass Ihr dieses Ungeheuer von Loire überquert?«
Der Kardinal griff nach seinem Gürtel, in dem versteckt er seine Börse trug. Er holte sie vor und zeigte sie dem Gastwirt, der sofort sah, wie gut gefüllt sie war.
»Ich kann gut zahlen, Wirt«, sagte er zu dem Mann, der ihn aus seinen schmalen blauen Augen ansah und sich bereits auszurechnen schien, was ihm das Unglück dieser Gäste einbringen dürfte.
»Hol er uns warme Decken, und lass er uns in die große Gaststube. Eine gute Suppe wird uns wieder auf die Beine bringen.«
»Meine Zimmer im Erdgeschoss könnt Ihr vergessen, Hochwürden, das Wasser steigt von Stunde zu Stunde weiter. Wenn der Fluss noch weiter steigt, müssen wir unsere Bleibe bald in die Hängeböden unter dem Dach verlegen. Zur Sicherheit sollten wir auch die Tiere nach oben bringen.«
Jetzt blieb sein schiefer Blick an der traurigen Kleidung der Reisenden hängen, und mit geheuchelter Sorge in der Stimme fragte er plötzlich:
»Mit wem habe ich eigentlich die Ehre?«
Jean de Villiers lächelte herablassend, und zwar gerade so viel, um dem Gastwirt Eindruck zu machen. Mit einem Blick deutete er auf Constance und sagte:
»Ich begleite Demoiselle de La Trémoille, die auf Schloss Amboise von Seiner Majestät, dem König von Frankreich, erwartet wird. Das ist auch der Grund, warum wir diese verfluchte Brücke um jeden Preis überqueren mussten.«
Bei diesen Worten verbeugte sich der Wirt und rief, noch ehe der Kardinal seine Ausführungen beenden konnte:
»Tonin, Guillemette! Her mit euch! Und ihr auch, le Poilu und Marie-qui-crie! Bringt Wollpelerinen und Stiefel mit warmem Stroh. Wir müssen die Leute hier wieder warm und trocken kriegen!«
Mit wenigen Handgriffen entledigten sich die
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