Die Seidenstickerin
Abstand hielt, um die anderen nicht zu behindern, konnte das Schlepptau nur halbwegs überwachen, weil ihm seine Kapuze die Sicht nahm.
Plötzlich schrie Constance laut. Sie war auf irgendetwas Glitschiges getreten, wahrscheinlich Gras oder Blätter, die das Wasser mitgeschleppt hatte.
Sie rutschte aus und zog die ganze Gruppe gefährlich nahe an den Rand der Brücke; und ohne die bemerkenswerten Kräfte des Riesen, der alle wieder in die Mitte zog, wären die Reisenden wieder in größter Gefahr gewesen.
Doch noch war das Abenteuer nicht vorbei. Als sie Dreiviertel des Wegs hinter sich gebracht hatten, wurde es Alix schwindlig; wahrscheinlich hatte sie sich noch nicht richtig von der Ohnmacht in der Kutsche erholt und brachte die Reisenden erneut in Gefahr.
»Wir sind gleich da, Alix. Ich bitte dich, halt durch«, rief ihr Constance zu.
Beide waren kreidebleich und fingen an, mit ihren hübschen weißen Zähnen zu klappern.
»Alix!«, schrie Constance noch einmal.
Und dann fielen sie dem Koloss zitternd in die Arme. Obwohl das Ende der Brücke nicht mehr weit schien, wurde die Lage wieder äußerst brenzlig. Weil der Hüne Alix festhalten musste, ließ er Constance los. Charles, der hinter ihr ging, wollte sie stützen, damit sie nicht etwa ausrutschte und in das tosende Wasser fiel, das sie alle hätte verschlingen können.
Alix war zwar nicht ohnmächtig, verdrehte aber die Augen und spürte ihre Füße kaum noch. Die zierlichen Lederschuhe, die Constance und Alix an diesem Morgen angezogen hatte, waren natürlich für diese Unternehmung vollkommen ungeeignet und machten das Ganze nicht besser.
Der Fährmann am Ende der Schlange, der mittlerweile angesichts der ernsten Lage seine Kapuze doch noch zurückgeschlagen hatte, gab sein Bestes, um die Mannschaft in der Mitte der Brücke zu halten.
Dann war es Charles, der wohl auf denselben glitschigen Gegenstand trat wie kurz zuvor Constance. Erschrocken breitete der Graf d’Angoulême seine Arme aus und ruderte in der Luft herum wie ein Vogel vor dem Abflug. Dann verlor er doch das Gleichgewicht, stürzte und zog Constance mit sich in die tosenden Fluten der Loire.
»Verdammtes Pack!«, schrie der Riese.
Diesen ziemlich anstößigen Fluch gebrauchten die einfachen Leute gern.
»Verdammtes Pack! Ich muss Euch loslassen«, sagte er zu Alix. »Haltet Euch am Geländer fest, und rührt Euch nicht von der Stelle, auch wenn Euch das verfluchte Wasser umwerfen will.«
Er ließ das Mädchen los und packte mit einem Griff, der wohl stärker war als der eines Bärentreibers, wenn er sein wütendes Tier bändigen muss, Constance, von der nur noch der Kopf aus dem Wasser schaute.
Gleichzeitig halfen der Kardinal und der kleine Fährmann Charles aus den Wogen des Flusses. Die Seile, mit denen sie verknotet waren, dienten auf der Brücke zwar ihrer Sicherheit, im Wasser drohten sie aber alle mitzureißen.
Plötzlich stieß Charles einen Schrei aus, und kalter Angstschweiß – kälter noch als das Loirewasser – lief ihm über den Rücken. Er hatte mit der Hand nach seinem Gürtel gegriffen und gemerkt, dass er dabei war den Degen zu verlieren, in dessen Knopf sich sein gesamtes Vermögen befand. Die zwanzigtausend Taler, mit denen er das Dach seines Schlosses reparieren wollte, befanden sich in einer denkbar ungünstigen Lage!
»Verdammt! Mein Degen!«, schrie er.
Um den Degen festzuhalten, ließ er die Hand los, die ihm Kardinal de Villiers gegeben hatte, spürte aber, dass er dadurch sofort tiefer ins Wasser rutschte. Mit der anderen Hand konnte er sich gerade noch an den Rand der Brücke klammern, von der nun mittlerweile nichts mehr zu sehen war.
»Verflucht! Mein Degen! Ich kann ihn nicht halten.«
»Lasst ihn doch los und ins Wasser, Herr, dann habt Ihr’s leichter«, rief ihm der Fährmann zu.
»Auf keinen Fall, lieber sterbe ich!«
Zu seinem großen Glück kam ihm der Riese zu Hilfe und zog ihn am Kragen seines Wamses, das dabei entzweiriss, aus dem Wasser. Was machte das schon aus, immerhin war Charles wieder auf der Brücke und hielt seinen Degen fest umklammert.
Mit hoch erhobenem Kinn, um nicht allzu viel Wasser zu schlucken, wateten sie durch die Fluten und erreichten schließlich irgendwie das andere Ufer; bis auf die Knochen durchnässt, schlotternd und schimpfend betraten sie das Gasthaus am anderen Ende der Brücke.
Die Herberge stand auch schon unter Wasser. Sie mussten durch die Hintertür, die zu den Nebengebäuden führte, weil
Weitere Kostenlose Bücher