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Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Die Seidenweberin: Roman (German Edition)

Titel: Die Seidenweberin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Niehaus
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hatte sie ihn seines dunkelroten Wamses entledigt, ihm die ledernen Reisebeinlinge abgestreift und schließlich sein leinenes Hemd aufgeknöpft. Mit Entsetzen sah Fygen, was Katryn so aus der Fassung gebracht hatte: Mertyns Bauch und Lenden waren über und über bedeckt mit dunkelroten, blutunterlaufenen Geschwüren, die sich bis zur Brust hinaufzogen. Eines davon war aufgebrochen, und ein dünner, eitriger Faden hellroten Blutes sickerte in die weißen Laken.

8. Kapitel
    A chtundneunzig Rheinische Gulden!«, sagte Fygen halblaut. Das erschien ihr auf den ersten Blick doch recht viel.
    »Was kostet achtundneunzig Gulden?«, wollte Herman wissen. Gerade hatte er mit Tim das Kontor seines Vaters betreten, wo Fygen über den Abrechnungen der letzten Seidenlieferung aus Venedig brütete. Vor wenigen Tagen war Peter mit einem Großteil der Seide, die Fygen in den letzten Monaten hergestellt hatte, zum Mitfastmarkt nach Antwerpen gereist, der jedes Jahr zu Mariä Lichtmess begann. Antwerpen war ein beliebter Handelsplatz für Spezereien und bot sehr gute Absatzmöglichkeiten für kostbare kölnische Seidenerzeugnisse.
    »Die Lieferung eines Fardels roher Seide von dreihundert Pfund von Venedig«, antwortete Fygen auf Hermans Frage. »Der Fuhrlohn von Venedig nach Augsburg, von Augsburg nach Frankfurt und schließlich von Frankfurt nach Köln ist dabei noch nicht mitgerechnet«, fügte sie hinzu und machte sich daran, die einzelnen Posten genauer zu betrachten, die zu solch einer Summe geführt hatten. Zunächst hatte der Geschäftspartner in Venedig die Ware in Augenschein nehmen müssen und war dafür mit einer Gondel unterwegs gewesen. Die Faccini, das waren die Dienstmänner, welche die Seide zur Waage und dann ins Deutsche Haus trugen, mussten bezahlt werden, dazu kam der Waaglohn. Außerdem fielen Kosten an für Leinwand und Löhne für die Arbeiter, deren Aufgabe es war, die Seide in die Leinwand einzunähen. Ebenso für die Ballenbinder. Und diese benötigten Schnur, Seife, Seil und Zwillich, die Lastträger Stricke. Dann noch die Kosten, die im Offitio angefallen waren für das Verwalten, die Gebühren und das Entgelt der Schreiber.
    Es hatte alles seine Richtigkeit, und die Kosten beliefen sich in der Tat auf beinahe einhundert Gulden, bis die Seide schließlich auf dem Weg in Richtung Augsburg war.
    »Das macht fast eine Mark kölnisch und vier Schillinge pro Pfund«, hatte Tim rasch überschlagen. Der Junge war recht schnell, wenn es um Zahlen ging.
    Herman pfiff durch die Zähne. »Nicht gerade günstig«, befand auch er.
    »Doch immer noch günstiger, als hier an der Kraut- und Eisenwaage zu kaufen«, brachte Tim sein inzwischen gelerntes Kaufmannswissen an den Mann.
    »Man sollte glatt selber Seidenraupen züchten, dann wäre man ein gemachter Mann«, sinnierte Herman.
    »Warum mache ich diese Arbeit eigentlich?«, fragte Fygen die Jungen lächelnd. »Wo mein Gatte doch zwei so kluge Lehrjungen hat?«
    Die beiden strahlten über das Lob, doch Fygen hatte recht. Der Einkauf von Rohseide gehörte zu Peters Aufgaben, aber wie immer wenn ihr Mann auf Reisen war, hatte Fygen seine Aufgaben im Kontor übernommen.
    »Was haltet ihr davon, wenn ihr hier weitermacht, und ich gönne mir einen freien Tag?«, fügte Fygen lachend hinzu. »Ich könnte auf einen Schwatz zu Katryn gehen, was meint ihr?«
    Die Jungen sahen sich an und nickten dann, stolz, dass Fygen ihnen diese Aufgabe übertragen wollte, und Fygen machte sich auf den kurzen Weg ins Haus Zur Roder Tür, um Katryn einen längst fälligen, aber immer wieder aufgeschobenen Besuch abzustatten. Seit Mertyn erkrankt war, ging Fygen nicht mehr gerne zu Katryn, musste sie sich eingestehen. Und sie hatte deswegen ein sehr schlechtes Gewissen, denn sie wusste, wie sehr Katryn gerade jetzt ihren Zuspruch brauchte. Doch die Stimmung im Hause der Ime Hofes war sehr gedrückt. Wie ein bleiernes Gewicht lastete die Krankheit des Hausherrn auf dem gesamten Haushalt.
    »Lass mich ihm das Essen bringen«, schlug Fygen vor, als sie die Freundin begrüßt hatte. Katryn schickte sich gerade an, mit einem gefüllten Tablett zu Mertyns Schlafkammer hinaufzusteigen. Müde und abgezehrt sah die Freundin aus, stellte Fygen fest. Die schmalen Wangen wirkten eingefallen, ihre braunen Augen lagen tief in den Höhlen, und die einzelnen Silberfäden, die sich hier und da in ihr Haar geschlichen hatten, bemerkte Fygen heute auch zum ersten Mal. Doch Katryns Aussehen war nicht

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