Die Seilschaft
Aussage von Vroni, dem anderen Zimmermädchen, hatte sich in dem Zimmer ein Kampf zugetragen, bei dem auch Blut geflossen war.
Sicher, mit dem Aufräumen zerbrochener Gläser und Flaschen und dem Wechsel der Bettwäsche wären die gröbsten Spuren beseitigt gewesen, aber hätte man nicht zumindest imBadezimmer und auf den Handtüchern Blutspuren entdecken müssen, als sich Petra Bauer gewaschen hatte? Fast schien es so, als ob Petra Bauer in jener Nacht überhaupt nicht in Schwerdts Zimmer gewesen war.
Andererseits könnte Schwerdt alle Spuren beseitigt haben, bevor er zum Frühstück gegangen war und das Zimmermädchen das Zimmer betreten hatte.
Kilian war nicht wohl zumute. Einzig, dass Petra Bauer auf Schwerdts Zimmer war, schien gesichert. Dafür bürgten die Fotos und die Aussage Vronis. Doch was genau dort geschehen war, blieb unklar. Genauso wie ihr weiterer Verbleib. Schwerdt hatte behauptet, Petra Bauer habe das Zimmer noch in der Nacht verlassen.
Das Zimmermädchen Vroni meinte, dass dies durchaus möglich gewesen sei, wenn sie in den Morgenstunden am übermüdeten Personal an der Rezeption vorbeigeschlichen wäre. Da es keine Anzeichen einer Tötung von Petra Bauer und der Beseitigung ihrer Leiche gab, musste sie also lebend das Hotel verlassen haben.
Was war danach mit ihr geschehen?, fragte sich Kilian. Laut Aussage ihrer Eltern war sie nicht in die gemeinsame Wohnung nach Unterdürrbach zurückgekehrt. Auch kein Taxifahrer wollte sich an sie erinnern, genauso wenig wie die Bus- oder Straßenbahnfahrer, denen eine hübsche, verletzte junge Frau vermutlich aufgefallen wäre.
Somit blieb eigentlich nur der Fußmarsch. Wenn sie den rund sieben Kilometer langen Heimweg zu Fuß angetreten hatte, konnte alles mit ihr passiert sein. Wahrscheinlich hatte sie die Abkürzung über den Steinberg genommen.
Dort war erst vor kurzem ein Jugendlicher brutal zusammengeschlagen worden. Der Täter konnte unerkannt flüchten. Damit würde sich der Mordfall Petra Bauer endgültig vom immer noch verdächtigen Werner Schwerdt lösen.
Doch was wäre, wenn Petra Bauer gar nicht erst so weit gekommen war? Was, wenn sie gar nicht vorgehabt hatte, nach Hause zu gehen?
An wen hätte sie sich im Morgengrauen eines diesigen Sonntagmorgens wenden können? Und wie war sie letztlich in die verborgene Waldhütte im Gramschatzer Wald gelangt?
Laut Pia war Petra Bauer rund zehn Tage in der Waschlauge gelegen. Ihr spurloses Verschwinden musste mit der Waldhütte zeitlich eng beieinanderliegen.
Wer hatte Zugang zur Hütte gehabt?
Schneider wollte sich darum kümmern.
Schritte auf dem Gang näherten sich und holten Kilian aus seinen Gedanken. Es war Heinleins behandelnder Arzt.
«Ich hoffe, Sie haben nicht lange warten müssen», sagte er.
«Ich habe es nicht eilig», beschwichtigte Kilian, was nicht stimmte. Der Mordfall Petra Bauer war gerade dabei, zwischen seinen Fingern zu zerrinnen.
«Wie geht es meinem Kollegen? Kann ich ihn sehen?»
Der Arzt verneinte. «Es ist noch zu früh. Er braucht Ruhe und vor allem Abstand.»
«Auch zu seinen Freunden?»
«Leider ja. Herr Heinlein muss sich jetzt ganz auf sich besinnen. Jede Ablenkung, und sei sie auch noch so gut gemeint, würde ihn ins alte Fahrwasser zurückwerfen.»
«Können Sie schon mehr zur Ursache seiner …» Kilian stockte. Wie sollte er sich ausdrücken?
«Störung», half ihm der Arzt aus. «Sprechen Sie es ruhig aus. Es ist nichts Sonderbares daran.»
«Gut, dann eben Störung. Was hat sie verursacht, und wie kann sie beseitigt werden?»
«Ihr Kollege und Freund hat gerade eben erst begonnen, sich zu öffnen. Es ist ihm nicht leichtgefallen, so wie es allenIhren Kollegen unmöglich erscheint, über die Erfahrungen und Erlebnisse zu sprechen, die sie krank gemacht haben.»
«Aber gibt es nicht irgendeinen Vorfall, der das alles ausgelöst hat?»
«Es ist selten nur ein einziges Ereignis. Meistens ist es ein ganzes Bündel an Umständen, die das Bett für seinen Niedergang bereitet haben, und die können weit in seine Kindheit zurückreichen.»
«Also gehen Sie davon aus, dass unser letzter Einsatz nicht dafür verantwortlich ist?»
«Herr Heinlein hat mir davon erzählt. Die Todesgefahr, in der Sie sich befunden haben, ist ihm nähergegangen, als er es für möglich gehalten hat.»
«Wir sind darauf vorbereitet. Es ist Teil unseres Jobs.»
«Ist jemals irgendwer aufs Sterben vorbereitet?»
Der Arzt hatte recht. Kilian ließ den Einwand
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