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Die seltene Gabe

Die seltene Gabe

Titel: Die seltene Gabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena
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anhalten müssen, ansonsten hätten sich unsere Wege endgültig getrennt. Aber irgendwie . . . irgendwie hatte ich das nicht gewollt . Und jetzt fragte ich mich, wieso. Beeinflusste Armand womöglich meinen Willen, auf irgendeine Weise, die ähnlich unbegreifbar war wie seine telekinetischen Kräfte? Ich sah ihn an, wie er da gegen die Haltestange gelehnt stand, immer noch schwer atmend, und vor sich hin starrte. In diesem Augenblick sah er sehr einsam und verletzlich aus, abgekämpft, verloren, am Ende seiner Kräfte. Uralt.

Kapitel 7 |
    Die S-Bahn erreichte die nächste Station. Ich beugte mich vor, um aus dem Fenster zu sehen. Die Halle war ganz in Grün gehalten, Boden, Wände, Tragesäulen, und ein großes Schild verkündete: STADTMITTE. Armand machte noch keine Anstalten, auszusteigen, also blieb ich auch sitzen. Leute stiegen ein und aus, draußen war wieder dieselbe Frauenstimme zu hören, die »Zurückbleiben bitte!« sagte, die Türen schlossen und der Zug beschleunigte wieder. Die nächste unterirdische Haltestelle wirkte vornehm und düster; die vorherrschende Farbe war Dunkelblau. Armand nickte mir nervös zu. Ich stand auf, schulterte meine Umhängetasche und stellte mich neben ihn an die Tür. »Nächster Halt: Feuersee«, erklärte ein Lautsprecher über uns. Was um alles in der Welt mochte ein »Feuersee« sein? Der Zug hielt und zusammen mit ein paar anderen Leuten stiegen wir aus. Ich sah mich um. Keine Verfolger weit und breit. Als hätten wir nicht das Geringste zu befürchten, spazierten wir auf den Ausgang zu. Eine breite Rolltreppe brachte uns hinauf an die Erdoberfläche. Kühle Nachtluft umfing uns, der Geruch von Abgasen und das Geräusch des Straßenverkehrs. Wir standen am Rand einer breiten Straße, die von hohen, glatten, marmorverkleideten Geschäftshäusern gesäumt wurde. Auf der anderen Straßenseite, in einiger Entfernung, sah ich eine Kirche, der die Spitze fehlte und die, von Scheinwerfern angestrahlt, auf einer Insel in einem kleinen See stand. Das musste er wohl sein, der ominöse Feuersee. »Was hast du mit den beiden Polizisten gemacht?«, fragte ich Armand, als niemand mehr in unserer Nähe war. »Dasselbe wie mit Pierre«, erklärte er sachlich. »Ich habe ihnen telekinetisch die Halsschlagadern zugepresst. Dadurch wird das Gehirn nicht mehr mit frischem Blut versorgt und der Betreffende wird ohnmächtig.« »Und dann? Was passiert mit ihnen?« Mich gruselte. »Nichts weiter. Du hast es ja gesehen. Es ist eine ganz gewöhnliche Ohnmacht – man wird bewusstlos, fällt um und bleibt liegen, bis man nach ein paar Minuten wieder zu sich kommt.« »Das klingt, als hättest du das schon oft gemacht.« Armand nickte. »Inzwischen kann ich es fast im Schlaf. Ich hätte überhaupt nicht fliehen können, wenn ich nicht auf diesen Trick gekommen wäre, oder ich hätte meinen Fluchtweg mit Leichen pflastern müssen.« »Kann es nicht vorkommen, dass du mal zu fest zudrückst?«, fragte ich.
    Ich erschrak fast von der Art, wie er mir mit einem heftigen Ruck das Gesicht zuwandte, ein Gesicht, in dessen Ausdruck sich Erstaunen und Entsetzen mischten. Er sah mich eigenartig an, sagte aber nichts, sondern sah wieder geradeaus. Auf einmal hatte ich das seltsame Gefühl, dass es ihn in Wirklichkeit überhaupt nicht gab und dass ich das alles nur träumte. Und ich wusste aus Erfahrung, dass es, wenn man in einem Traum anfängt zu merken, dass man nur träumt, es nicht mehr lange dauerte, bis man erwachte. »Was hast du jetzt vor?«, fragte ich mit einer Ruhe, die mich amüsierte. Armand befühlte den Rand seiner Perücke. »Ich weiß es noch nicht«, gab er zu. »Ich fange gerade an, darüber nachzudenken.« »Gut, verrat mir nichts«, sagte ich und hob abwehrend die Hände. »Ich schätze, du wirst sowieso ohne mich weitermachen müssen.« Weil ich nämlich gleich aufwachen und mich in meinem Bett wieder finden und heilfroh sein werde, dass alles nur ein Traum war, während du dorthin gehst, wohin Traumgestalten eben gehen, wenn der Träumer erwacht. Wo immer das sein mag. »Wieso das denn?« »Na, sie wissen jetzt, dass du hier bist, sie wissen, dass du in Begleitung bist«, zählte ich keck auf. »Mit anderen Worten, ich bin dir nur noch ein Klotz am Bein.«
    Er betrachtete mich nachdenklich. »Und was willst du machen?« Ich zuckte mit den Schultern. »Wieder nach Hause fahren, was denn sonst?«, erwiderte ich. »Und falls du die Perücke behalten willst, würde ich mir unterwegs eine

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