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Die seltene Gabe

Die seltene Gabe

Titel: Die seltene Gabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena
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nächsten Moment brach er zusammen wie ein einstürzender Dosenstapel im Supermarkt. Das Funkgerät schlitterte klappernd davon. »Erwin!«, rief der Beamte hinter uns. »Was ist los?« Ich fuhr herum, gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie auch er hilflos in sich zusammensank. »Los!«, befahl Armand. »Renn!« Er packte mich am Handgelenk und wir rannten los, in die Richtung, aus der wir gerade gekommen waren, und weiter den Gang entlang, vorbei an wie erstarrt stehenden Leuten mit dicken Koffern. Hinter uns hob Geschrei an, umso lauter, je länger wir rannten – und der Gang schien endlos zu sein, schien im mer länger zu werden –, Rufe wie »Hilfe!«, »Polizei!«, »Einen Arzt! Einen Arzt!« und natürlich: »Haltet sie! Aufhalten, die beiden!«. Dieser Ruf verhallte nicht ungehört. Ein Schrank von einem Mann, groß, breit, mit bärbeißigem Gesicht und über der behaarten Brust geöffnetem Hemd, ließ seine Koffer fallen und stellte sich uns mit ausgebreiteten Armen in den Weg. Nach normalen Maßstäben hätte er uns fassen und festhalten können wie nichts – aber Armand war alles andere als normal. Er rannte weiter, seine Hand eisern um mein Gelenk gekrallt, preschte auf den Hünen zu, als sei da überhaupt niemand, als sei diese Gestalt nur eine Fata Morgana. Und tatsächlich, als wir auf fünf Meter heran waren und der Mann schon auf uns zuging wie ein Torwart auf einen rollenden Ball, da schrie er plötzlich auf, klappte mit schmerzverzerrtem Gesicht zusammen und wurde beiseite geschleudert, als sei ihm ein unsichtbares Auto in den Bauch gefahren. Telekinese – aber der Mann würde sich sein Leben lang fragen, was zum Teufel damals in dem Gang zur S-Bahn mit ihm passiert war. Armand rannte an seinem Opfer vorbei, und ich mit ihm. Der Gang erweiterte sich. Rechts eine Reihe von Automaten und einen unübersehbar so beschilderten »Zugang zur Tiefgarage«, links eine breite, leicht abfallende Passage. Dahinein, weiter. Frauen schrien, Kinder kreischten, Ehepaare glotzten, und noch zwei Männer, die sich Armand in den Weg stellten, wur den einfach überwalzt. Noch einmal ein größerer Raum, von oben Rolltreppen, zur Rechten Fahrkartenautomaten und frei hängende Telefonapparate, und über einer Treppe, die noch tiefer hinabführte, stand »Zur S-Bahn«. Armand legte ein Tempo vor, bei dem ich mir fast die Lunge aus dem Hals spuckte, und ich bin eigentlich nicht schlecht in Sport. Immer wieder stolperte ich um ein Haar, doch auf geheimnisvolle Weise kam ich jedes Mal glücklich wieder auf die Beine. Wir hetzten die Treppe zur S-Bahn hinunter, während allmählich die »Haltet sie!«-Rufe hinter uns aufhörten, und irgendwo auf den Stufen verwandelten wir uns in irgendwelche Jugendliche, die es sich in den Kopf gesetzt hatten, eine bestimmte S-Bahn noch zu erwischen. Armand ließ meinen Arm los. Die Leute vor uns traten höflich beiseite, sobald sie uns bemerkten, und niemand schien es ungewöhnlich zu finden, dass wir rannten wie verrückt. Und tatsächlich, da stand ein S-Bahn-Zug auf dem Gleis rechts von uns, auf halber Länge des unglaublich langen S-Bahn-Tunnels und damit noch in gehöriger Entfernung. Leute stiegen ein und aus, und wir stürmten, was das Zeug hielt. »Bitte zurückbleiben!«, flötete eine helle Frauenstimme aus den Lautsprechern, aber da hatten wir den letzten Wagen schon erreicht und konnten uns durch die offen stehende Schiebetüre ins Innere werfen, ehe sie zischend zufuhr.
    »Na, gerade noch geschafft, was?«, nickte uns ein älterer Mann lächelnd zu, als die S-Bahn anfuhr. Wir konnten nur nicken, denn unsere Lungen arbeiteten noch wie Blasebälge, und ich spürte mein Herz schmerzhaft im Hals schlagen. Schweiß rann mir aus allen Poren. Es waren jede Menge Sitzplätze frei, und ich ließ mich auf den nächstbesten fallen, keuchend und ausgepumpt wie nur was. Draußen rasten die grauen Betonwände des U-Bahn-Stollens vorbei, und mir wurde klar, dass ich gerade die beste Chance, Armand zu entkommen, verpasst hatte. Mehr noch, ich Idiotin hatte mich regelrecht verausgabt dafür, ihm nicht zu entkommen! Okay, es war mir so vorgekommen, als hätte er am Schluss darauf geachtet, hinter mir zu rennen, und vielleicht hätte er mir im entscheidenden Moment einen Stoß gegeben oder sich wieder mein Handgelenk gekrallt – trotzdem, es wäre machbar gewesen, ihn in die S-Bahn springen zu lassen und selber draußen zu bleiben. Dann hätte er mit seiner famosen Telekinese schon den Zug

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