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Die seltene Gabe

Die seltene Gabe

Titel: Die seltene Gabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena
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– eine ziemliche Strecke und womöglich der gefährlichste Teil meines gesamten Abenteuers, denn er fuhr einen Porsche und schien von Verkehrsregeln nicht viel zu halten, besonders nicht von Geschwindigkeitsbeschränkungen. In Zwickau setzte er mich am Bahnhof ab, kaufte mir eine Fahrkarte nach Hause – dreimal umsteigen! –, trug mir die Reisetaschen bis auf den richtigen Bahnsteig und wartete, bis ich im richtigen Zug saß. Zum Abschied winkte er mir sogar kurz nach, der Mann von MAD. Und irgendwann spätabends war ich dann tatsächlich wieder zu Hause. Alles war noch so, wie ich es verlassen hatte, sogar mein Fahrrad lag immer noch schlampig herum. Ich stellte es ordentlich in die Garage. Ich fand sogar mein eigenes Handy wieder, hinter einer Vase auf der Kommode im oberen Flur. Es war ein seltsames Gefühl, wohlbehalten und unbeschadet zurück zu sein. So, als erwache man aus einem langen, äußerst merkwürdigen Traum. Ich dachte, ich hätte das Abenteuer damit hinter mir. Dabei fing es gerade erst an.

Kapitel 20 |
    Meine armen Eltern. Braun gebrannt und ahnungslos, kamen sie ein paar Tage später aus der Karibik zurück und hatten eigentlich geglaubt, mir allerhand Aufregendes erzählen zu können. Doch als ich sie am Bahnhof abholte, kam es ungefähr zu folgendem Gespräch: »Hi. Schön braun seid ihr geworden.« »Grüß dich, Marie, Liebes; schön, dass du uns abholst. Ach, es war herrlich, einfach phantastisch. Es hat uns so Leid getan, dass du nicht dabei sein konntest. Hast du wenigstens einigermaßen gutes Wetter gehabt?« »Es ging.« »War es denn langweilig ohne uns?« »Ähm«, machte ich behutsam. »Kann ich eigentlich nicht behaupten. Ich bin entführt worden.« »Wie? Gott, ist das laut hier. Ich hatte gerade den Eindruck, du hättest gesagt, du seist entführt worden.« »Hab ich auch tatsächlich gesagt.« Belämmerte Gesichter. »Wie bitte?« »Entführt«, wiederholte ich. »Verschleppt. Gekidnappt. Habt ihr keine Zeitungen gelesen?« »Zeitungen?« Ausgesprochen belämmerte Gesichter. »Macht nichts«, winkte ich ab. »Ich hab sie euch aufgehoben.«
    Es wurde ein langer Abend, während ich ihnen zu erzählen versuchte, was passiert war. Aber irgendwie schienen sie mir nicht wirklich zu glauben, sondern alles für eine Art überspannte, spätpubertäre Einsamkeitsphantasie zu halten. Die Zeitungen waren als Beweismittel ziemlich untauglich, denn sie berichteten zwar über den großen Polizeieinsatz in unserer Stadt und dass er einem entflohenen jugendlichen Straftäter gegolten hatte, auch darüber, dass in Stuttgart auf Grund von etwas, das nur diffus als »Terrorwarnung« bezeichnet wurde, mehrere Stunden lang der gesamte S-Bahn-Verkehr stillgelegt und der Hauptbahnhof von massiven Polizeikräften gesichert worden war, aber von einer Entführung stand da kein Wort. Von mir erst recht nicht. Vermutlich ist das so, wenn man in etwas verwickelt wird, an dem auch Geheimdienste beteiligt sind. Gut, ich kann darauf verzichten, meinen Namen zentimeterhoch auf den Titelseiten der diversen Sensationsblätter zu lesen, womöglich mit meinem Bild daneben. Aber eine klitzekleine Notiz in einer seriösen Zeitung wäre durchaus hilfreich gewesen. So ging ich schließlich ins Bett mit dem Gefühl, dass meine Eltern bestimmt noch zwei Stunden aufbleiben und darüber diskutieren würden, was sie falsch gemacht haben mochten in meiner Erziehung und ob sie mit mir zu einem Jugendpsychologen gehen sollten oder ob sich das mit der Zeit geben würde. »Jedenfalls«, verkündete meine Mutter am nächsten Morgen beim Frühstück, »mache ich nie wieder bei einem Preisausschreiben mit. Das war das erste und letzte Mal.« In der Schule waren die Ereignisse in der Stadt ein paar Tage lang Gesprächsthema gewesen. Jeder wusste etwas anderes, und wenn man zehn Leute fragte, hörte man zwanzig verschiedene Versionen der Geschehnisse, von denen keine mit dem, was wirklich passiert war, auch nur entfernt zu tun hatte. Ein, zwei Tage ging das so, bis unser Gemeinschaftskundelehrer sich bemüßigt fühlte, »aus aktuellem Anlass«, eine Unterrichtsstunde über »Kriminalität und Verbrechensbekämpfung in der modernen Gesellschaft« einzuschieben. Wenn man weiß, wie er Unterricht macht, wundert man sich nicht, dass das Thema danach auf dem Schulhof erledigt war. Mein persönliches Problem war gewesen, zu erklären, warum ich einen Tag gefehlt hatte, unentschuldigt zudem. Was hätte ich sagen sollen? Die Wahrheit hätte

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