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Die seltsame Welt des Mr. Jones

Die seltsame Welt des Mr. Jones

Titel: Die seltsame Welt des Mr. Jones Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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»Sobald Sie zurück sind. Damit ich weiß, daß mit Ihnen alles in Ordnung ist.«
     »Mache ich«, sagte Cussick. »Vergessen Sie Ihr Paket nicht.« Er blieb stehen, bis die beiden verschwunden waren, dann drehte er sich um und trat wieder in das Zimmer.
     Nina saß auf dem Bett; den Kopf hatte sie an die Wand gelehnt und die Beine angezogen. Sie lächelte ihn schwach an.
    »Hallo«, sagte sie.
     »Fühlst du dich besser?« Er sperrte die Tür ab und ging auf sie zu. »Sie sind gegangen. Ich habe sie weggeschickt.« Er setzte sich auf die Bettkante. »Das ist dein Zimmer, nicht wahr?«
    »Ja.« Sie sah an ihm vorbei.
    »Wie lange schon?«
    »Oh, nicht lange. Eine Woche, vielleicht. Zehn Tage.«
    »Ich verstehe nicht. Willst du hier bei diesen Leuten sein?«
     »Ich wollte weg. Ich konnte dieses verdammte kleine Appartement nicht mehr ertragen – ich wollte für mich sein und etwas tun. Es ist so schwer zu erklären; manches verstehe ich selbst nicht. Es ist wie bei dem Diebstahl – ich hatte einfach das Gefühl, daß ich aufstehen mußte.«
     »Deshalb hast du uns also alle hierhergebracht. Es bedeutete nichts, bis du es uns zeigen konntest.«
    »Vermutlich. Ja, ich glaube, du hast recht. Ich wollte, daß du es siehst, damit du Bescheid weißt. Damit du siehst, daß ich auch anderswo hingehen kann, daß ich nicht von dir abhängig bin nicht hilflos an deine Welt gekettet. Draußen im Lokal bekam ich Angst – ich nahm das Heroin für meine Nerven.« Sie lächelte ein bißchen. »Es ist alles so scheußlich.«
     Er beugte sich über sie und hielt ihre Hände fest. Ihre Haut war kalt und ein wenig feucht.
    »Jetzt hast du aber doch keine Angst mehr, oder?«
    »Nein«, stieß sie hervor. »Nicht, wenn du da bist.«
    »Wir bleiben heute nacht hier«, sagte er. »Willst du das?«
    Sie nickte.
    »Und morgen früh gehen wir zurück?«
     Sie wandte sich ab und erwiderte gequält: »Frag mich nicht. Zwing mich nicht zur Antwort. Ich habe Angst davor.«
     »Gut.« Es schmerzte, aber er beharrte nicht auf einer Antwort. »Wir können morgen entscheiden, nachdem wir uns ausgeschlafen und gefrühstückt haben. Sobald das Zeug verflogen ist. Dieses Gift – dieser Dreck.« Er bekam keine Antwort. Nina döste; mit geschlossenen Augen lehnte sie erschlafft an der Wand.
     Lange Zeit rührte sich Cussick nicht. Im Zimmer wurde es kalt. Draußen herrschte Stille. Er schaute auf die Uhr. Halb fünf. Er bückte sich und zog Nina die Schuhe aus. Er stellte sie vor dem Bett auf den Boden, zögerte und öffnete ihr Kleid. Er brauchte einige Zeit dazu, weil das Kleid auf komplizierte Weise zusammengehalten wurde. Zweimal wurde Nina halb wach, bewegte sich und schlief wieder ein. Endlich ging das Kleid auf; er schob das Oberteil über ihren Kopf und hängte es auf die Stuhllehne; dann streifte er ihr den Rock ab. Es war erstaunlich, wie klein sie in Wirklichkeit war. Ohne das teure, prunkvolle Kleid wirkte sie ungewöhnlich bloß, schutzlos und verletzbar. Es war unmöglich, Groll gegen sie zu hegen. Er zog ihr die Decke über die Schultern und unters Kinn. Ihr dichtes blondes Haar fiel über den Wollstoff; die honigfarbenen Locken bildeten einen schönen Kontrast zu dem schwarz -roten Karomuster. Er strich ihr die Haare aus den Augen und setzte sich neben ihr auf das Bett.
    Eine endlose Zeit saß er so gedankenverloren und starrte in die dunklen Ecken. Nina schlief unruhig; ab und zu bewegte sie sich, stöhnte und drehte sich auf die Seite. In einer unsichtbaren Dunkelheit trug sie einsame Kämpfe aus, ohne ihn, ohne jede Hilfe. Am Ende war jeder vom anderen abgeschnitten. Jeder litt allein.
     Gegen Morgen zu nahm er ein fernes, gedämpftes Geräusch wahr. Lange Zeit achtete er nicht darauf; das Geräusch konnte ihn nicht aus seiner Betäubung reißen. Erst nach einiger Zeit drang es in sein Bewußtsein, und er identifizierte es. Es war eine rauhe und laute Stimme, eine Stimme, die er erkannte. Steif und vor Kälte zitternd, stand er auf und ging zur Tür. Vorsichtig sperrte er sie auf und trat in den kalten, verlassenen Korridor hinaus.
    Die Stimme gehörte Jones.
     Cussick ging langsam den Flur entlang. Er kam an geschlossenen Türen und Nebenkorridoren vorbei, sah aber niemanden. Es war 5.40 Uhr morgens; die Sonne begann sich zu zeigen. Durch ein offenes Fenster am Ende des Flurs sah er ein Stück düsteren, grauen Himmels, so fern und abweisend wie Waffenstahl. Je weiter er kam, desto lauter wurde die Stimme. Plötzlich bog

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