Die seltsame Welt des Mr. Jones
»Ja.«
»Hatten sie Glück?«
»Die Daten sind noch nicht ausgewertet.«
»Mit anderen Worten, nichts von Wert«, meinte Tyler. Kaminski zuckte die Achseln.
»Wer weiß?«
»Jones«, murmelte Nina.
»Dann fragen Sie ihn. Oder warten Sie auf die amtliche Mitteilung. Belästigen Sie mich nicht damit.«
»Was ist da mit Pearson?« fragte Cussick, um das Thema zu wechseln. »Ich habe Gerüchte gehört, daß er Tag und Nacht arbeitet, Leute aussucht und Projekte organisiert.«
»Pearson ist entschlossen, Jones aufzuhalten«, antwortete Kaminski. »Er ist überzeugt davon, daß das geht.«
»Aber wenn wir so fanatisch werden wie diese Leute – «
»Pearson ist schlimmer. Er ißt, schläft, denkt, lebt nur für Jones. Er kommt nicht mehr zur Ruhe. Jedesmal, wenn ich in seinen Flügel komme, treibt sich ein Bataillon von WaffenPolizisten herum – Gewehre, Panzer und Projektile.«
»Glauben Sie, daß es etwas nützt?«
»Liebling«, sagte Nina langsam, »siehst du denn gar nichts Positives darin?«
»Zum Beispiel?«
»Ich meine, hier haben wir einen Mann mit dieser wunderbaren Begabung – er kann etwas, das noch keiner konnte. Wir brauchen nicht mehr zu raten. Wir wissen. Wir sehen, wohin wir gehen.«
»Ich rate lieber«, sagte Cussick tonlos.
»Wirklich? Vielleicht liegt da der Fehler – vielleicht begreifst du nicht, daß die meisten Menschen Gewißheit wollen. Du hast Jones abgelehnt. Warum? Weil dein System, dein Staat, um das Nicht-Wissen aufgebaut ist, um das Vermuten. Ihr geht davon aus, daß niemand wissen kann.« Sie sah ihn mit ihren kalten, blauen Augen an. »Aber jetzt können wir wissen. In gewisser Weise bist du also veraltet.«
»Na, dann bin ich jedenfalls stellungslos«, meinte Tyler belustigt.
»Was haben Sie getan, bevor Sie zum Sicherheitsdienst kamen?« fragte Cussick.
»Gar nichts, das ist meine erste Stellung. Ich bin erst siebzehn. Bei Ihnen komme ich mir ein bißchen deplaciert vor – ich habe überhaupt noch keine Erfahrung.«
Kaminski wies auf ihr Glas.
»Das eine kann ich Ihnen sagen, mit diesem Zeug zerstören Sie Ihr Nervensystem«, meinte er. »Er greift die oberen Rückenmarksganglien an.«
»O nein«, sagte Tyler hastig. »Ich bin immun dagegen.« Sie berührte ihre Handtasche. »Dafür muß ich mich auf einen synthetischen Neutralisator verlassen. Sonst würde ich es nicht nehmen.«
Cussicks Achtung vor ihr wuchs.
»Aus welcher Gegend kommen Sie?« fragte er neugierig.
»Geboren bin ich in China. Mein Vater war hoher Beamter im Kweiping-Sekretariat der chinesischen KP.«
»Dann sind Sie auf dieser Seite des Krieges geboren«, sagte Cussick verblüfft. »Sie sind aufgewachsen auf – « Er verzog das Gesicht. »Was man die atheistisch-kommunistische Seite nannte.«
»Mein Vater war ein überzeugter Kommunist. Er kämpfte mit Herz und Seele gegen die mohammedanischen und christlichen Fanatiker. Er zog mich auf; meine Mutter starb durch Bakteriengifte. Da sie kein Amt hatte, besaß sie keinen Anspruch auf Schutzunterkunft. Ich lebte mit meinem Vater in den Parteibüros, ungefähr eine Meile unter der Erde. Dort blieben wir, bis der Krieg zu Ende ging.« Sie verbesserte sich: »Das heißt, ich war dort. Mein Vater wurde kurz vor Kriegsende von der Partei erschossen.«
»Weshalb?«
»Abweichlertum. Das Buch von Hoff zirkulierte auch bei uns. Mein Vater und ich schrieben Teile mit der Hand ab und verbreiteten sie unter Parteimitgliedern. Es war durchaus revolutionär; viele von uns hatten vom Vielfach-Wert-System noch nie gehört. Der Gedanke, daß jeder recht haben konnte, daß jeder Anspruch auf seinen eigenen Lebensstil hatte, übte eine unglaubliche Wirkung auf uns aus. Der Begriff Hoffs vom persönlichen Lebensstil war erregend. Weder religiöses, noch antireligiöses Dogma; kein Streit mehr darüber, welche Auslegung der heiligen Texte richtig war. Nichts mehr von Sekten, Splittergruppen, Fraktionen; keine Häretiker mehr, die man erschießen, verbrennen oder einsperren durfte.«
»Sie sind keine Chinesin«, sagte Nina.
»Nein, Engländerin. Meine Familie waren anglikanische Missionare, bevor sie Kommunisten wurden. In China gab es eine Gemeinschaft englischer Kommunisten.«
»Wissen Sie noch viel vom Krieg?« fragte Kaminski.
»Nein. Die christlichen Überfälle von Formosa aus – meist nur das Schreiben bei Nacht. Das geheime Verteilen.«
»Wie sind Sie davongekommen?« fragte Cussick. »Warum hat man Sie nicht auch
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