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Die seltsame Welt des Mr. Jones

Die seltsame Welt des Mr. Jones

Titel: Die seltsame Welt des Mr. Jones Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip K. Dick
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aus.
     »Glaubst du, daß es das letztemal sein wird?« fragte sie gepreßt.
     »Ich weiß es nicht.« Er spürte nur Müdigkeit; dankbar ließ er sich auf dem Bett nieder. Nina deckte ihn zärtlich zu. »Ist das dein kleines Privatbett?« fragte er mit einer Spur von Ironie.
     »Gewissermaßen – wie im Mittelalter«, antwortete sie. »Dieser kleine Raum, dieses Bett – wie eine Pritsche. Kommode und Waschstand. Keuschheit, Armut, Gehorsam – für mich eine Art geistiger Reinigung. Für uns alle.«
     Cussick versuchte nicht, darüber nachzudenken. Das sinnliche, orgiastische Laster vom Abend zuvor, Drogen, Schnaps und Darbietungen, das entartete Schauspiel – und jetzt dies. Es ergab keinen Sinn. Aber da war ein Schema, ein Sinn jenseits der Logik. Es paßte.
    Sie preßte sich an ihn und sah ihn mit großen Augen an.
     »Ja«, flüsterte sie, sah suchend in sein Gesicht, versuchte zu begreifen, was er dachte und empfand, »ich liebe dich so sehr.«
     Er sagte nichts. Er berührte ihr honigfarbenes Haar mit den Lippen. Sie klammerte sich an ihn, aber er glitt schon davon. Er drehte sich auf die Seite, die Hand an ihrem Hals, an ihrem Ohr.
    »Bitte«, flüsterte Nina drängend. »Bitte, verlaß mich nicht.«
    Aber er konnte nichts tun. Er entglitt ihr, entfernte sich immer weiter von ihr… und auch sie verließ ihn. In der Umarmung, die Körper aneinandergepreßt, waren sie schon eine Ewigkeit auseinander, getrennt von dem unaufhörlichen, gedämpften, metallischen Dröhnen der Stimme, die aus weiter Ferne an die Wände hämmerte, vom endlosen rauhen Murmeln, von Worten, Gesten, Reden – von der unermüdlichen Aktivität eines leidenschaftlichen Mannes.

    XI

     Die Nachricht breitete sich aus. Cussick brauchte es keinem zu sagen; alle wußten es. Erst einen Monat später, Mitte November, rief ihn Tyler an – unerwartet und ohne Vorankündigung. Er saß an seinem Schreibtisch und beschäftigte sich mit Berichten und Daten. Der Anruf kam über das Haus-TV-Telefon, so daß er nicht darauf vorbereitet war.
     »Entschuldigen Sie, daß ich störe«, sagte Tylers lebendes Abbild ohne Vorrede. Sie saß auch an ihrem Schreibtisch; neben ihrer zierlichen, uniformierten Gestalt stand eine elektrische Schreibmaschine. Mit dunklen, ernsten Augen hielt sie ein Datenband hoch, das sie zur Auswertung erhalten hatte. »Ich sehe, daß Ihre Frau unter ihrem Mädchennamen neu eingestuft wird. Wir sollen sie als Nina Longstren führen.«
    »Das ist richtig«, bestätigte Cussick.
     »Wollen Sie mir erzählen, was geschehen ist? Ich habe Sie seit jener Nacht nicht mehr gesehen.«
     »Wir treffen uns irgendwo nach der Arbeit«, schlug er vor. »Wo Sie wollen. Aber jetzt kann ich nicht sprechen.« Er wies auf die Berge von Unterlagen auf seinem Schreibtisch. »Ich weiß, daß ich nichts erklären muß.«
     Er traf sich mit ihr auf der breiten Eingangstreppe des Hauptgebäudes. Es war sieben Uhr abends; der Winterhimmel war kohlschwarz. Tyler wartete in einem schweren, pelzgefütterten Mantel auf ihn; die Hände hatte sie tief in die Taschen gesteckt; über dem kurzen, schwarzen Haar trug sie ein wollenes Kopftuch. Als er die Betonstufen hinunterging, trat sie aus den Schatten.

 »Sie können mir so viel oder so wenig erzählen, wie Sie wollen«, sagte sie. »Sie sollen nicht glauben, daß ich neugierig bin.«
    Es gab nicht viel zu erzählen. Am nächsten Morgen um elf Uhr hatte er Nina in seine Wohnung zurückgebracht. Beide sagten nicht mehr als ein paar Worte. Erst als er sie in den vertrauten Wohnraum geführt hatte, war ihnen klargeworden, wie sinnlos das Ganze war. Drei Tage später erhielt er eine Mitteilung vorn Heiratsbüro. Nina hatte das Auflösungsverfahren eingeleitet. Er sah sie noch einmal kurz, als sie ihre Sachen holte. Bis die Abschlußunterlagen zugestellt wurden, hatte sie schon eine andere Wohnung bezogen.
     »Wie waren Ihre Beziehungen?« fragte Tyler. »Doch noch freundschaftlich, nicht wahr?«
    Das war das Schlimmste gewesen.
     »Ja«, sagte er gepreßt. »Wir waren noch befreundet.« Er hatte Nina am letzten Abend ihrer Ehe zum Essen ausgeführt. Das noch nicht unterschriebene Dokument war zusammengefaltet in seiner Tasche gewesen. Nachdem sie eine Stunde teilnahmslos in dem halbleeren Lokal gesessen hatten, schoben sie schließlich die Bestecke beiseite und unterschrieben. Das war es, die Ehe bestand nicht mehr. Er hatte sie in ein Hotel gebracht, ihr Gepäck aus der Wohnung geholt und sie dort

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